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23. Jahressonntag

Thema: Die Gemeinderegel des Mattäus
Lesg./Ev.: Mt 18,15-20
gehalten am 05.09.1999 10:30h in Eschenbach
von E. Gottsmann, OStR

 

Evangelium

Mt 18,15 Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. 16 Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei Männer mit, denn jede Sache muß durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werden. 17 Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde. Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner. 18 Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein. 19 Weiter sage ich euch: Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. 20 Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.

Predigt

Liebe Christen!

Ein Fundamentalist, für den die Bibel eine Art Diktat Gottes ist, dürfte mit dem heutigen Evangelium seine Schwierigkeiten haben.

Worum geht es? Allem Anschein nach gibt Jesus Regeln, wie man mit einem fiesen Typ umgehen soll. Und da beginnen bereits die Schwierigkeiten. Heißt es original: „wenn dein Bruder sündigt" oder „wenn dein Bruder gegen dich sündigt", wie es in einigen Textüberlieferungen heißt? Im zweiten Fall müßte ich einen Zeitgenossen zur Brust nehmen, der mir persönlich etwas Böses angetan hat, im ersten Fall dagegen jeden, der sich irgend einer Verfehlung schuldig gemacht hat, ob ich nun selbst betroffen bin oder nicht. Im Grunde würden wir damit aufgefordert werden, uns in Sachen einzumischen und sie gar an die öffentliche Glocke zu hängen, die uns doch gar nichts angehen!

Sodann: wenn der Kerl nicht einsichtig ist, nachdem ich ihn unter vier Augen zurechtgewiesen habe, und auch zwei oder drei Zeugen nichts ausrichten, dann soll ich den Fall vor die Gemeinde bringen. Vor welche Gemeinde denn? Zu Lebzeiten Jesu kann man noch in keiner Weise von einer christlichen Gemeinde sprechen, es sei denn, Mattäus meint das jüdische Rabbinat oder den Hohen Rat - und das ist ja völlig ausgeschlossen.

Und das Hauptproblem: Wenn auch die Gemeinde keinen Einfluß auf das Verhalten des Übeltäters hat, dann soll er wie ein Heide oder Zöllner sein - mit einem Wort: dann kannst du den Burschen einfach links liegen lassen - null Kontakt!

Aber hat Jesus nicht wenige Kapitel vorher von der Feindesliebe gesprochen, die auch Zöllner und Heiden umfassen soll? Widerspricht sich denn Jesus da selbst?

Wie gesagt - ein Fundamentalist muß da passen. Wer aber die Bibelwissenschaft berücksichtigt, die in den letzten Jahrzehnten Großes geleistet hat, kann diese Schriftstelle richtig einordnen und verstehen.

Sagen wir es klar und deutlich: diese Gemeinderegel stammt gar nicht von Jesus selbst, auch wenn sie ihm in den Mund gelegt wurde. Vergessen wir nicht: die Evangelien wurden erst mehrere Jahrzehnte nach Christi Tod und Auferstehung verfaßt, das Mattäusevangelium wahrscheinlich erst fünfzig Jahre später. Inzwischen hat sich eine Menge getan: es haben sich Gemeinden gebildet, verschiedene Hierarchien entstanden (bei Heidenchristen wieder andere als bei den Judenchristen), Streitigkeiten um den wahren Glauben und um praktische Angelegenheiten drohen die frühen Christen zu spalten. Natürlich gibt es jetzt auch immer mehr Quertreiber, die das Gemeindeleben irritieren oder den christlichen Glauben in Verruf bringen. Was ist da zu tun - oder besser gesagt: was würde denn Jesus empfehlen, wenn er noch unter uns wäre?

Aber halt: hat Jesus denn nicht versprochen, bei uns zu sein, alle Tage, bis ans Ende der Welt? Da können wir ja darauf vertrauen, daß wir eine Lösung finden, die seinem Geist, seinem Denken und Wollen, entspricht!

Und genau das hat die mattäische Gemeinde getan. Schließlich fühlte sie sich berechtigt, die Binde- und Lösegewalt auszuüben, genau wie die Vorsteher der jüdischen Gemeinden. Binden und Lösen - also etwas zu verbieten oder etwas zu erlauben, jedenfalls verbindliche Entscheidungen zu treffen.

Und als Hinweis darauf, daß die gemeinsam erarbeiteten Regeln und Konfliktlösungen durchaus im Sinne Jesu sind, legt man sie ihm einfach in den Mund, wie wenn er das selbst gesagt hätte.

Sicher hätte auch Jesus, so idealistisch er sonst war, die Tatsache akzeptieren müssen, daß es in der Gemeinde nicht so glatt läuft, wie man es sich wünschen würde. Daher ist die unbegrenzte, unendliche Nächstenliebe für uns Menschen ein unerreichtes Ideal. Irgendwann muß mal Schluß sein, irgendwann muß so ein „Gemeindeekel" hergebremst werden! Das ist natürlich kein Freibrief für Exkommunikation, und erlaubt auch nicht das „Richten anderer" - es muß eine absolute Ausnahme bleiben, eine Maßnahme zum Selbstschutz der Gemeinde! Aber manchmal muß es halt sein, irgendwann ist das Maß halt voll.

Der Ausschluß aus der Gemeinde kann und darf aber niemals ein Ausschluß aus der Liebe, ein Ausschluß von Gott sein - denn wenn etwas wirkliche Lehre Jesu ist, dann dies: wenn auch die Menschen verdammen (oder verdammen „müssen") - Gott, die grenzenlose, unverlierbare Liebe verdammt nie und niemanden!

Liebe Christen!

Wenn es schon zu Mattäus‘ Zeiten Probleme mit Störenfrieden und unguten Gemeindemitgliedern gab - obwohl man doch damals meist aus echter Überzeugung Christ wurde - wie viel komplizierter muß es dann heutzutage sein. Heute sind doch die meisten nur deshalb Christen, weil auch die Eltern oder Großeltern Christen waren. Viele Eltern taufen ihre Kinder nur, damit sie mal in der noch immer christlichen Umgebung keine Außenseiter sind. Und manche sind einfach zu faul, aus der Kirche auszutreten, obwohl sie innerlich längst ausgewandert sind. Daß in einer so strukturierten „Volkskirche" die Schwierigkeiten mit einzelnen Gemeindemitgliedern ungleich häufiger sind als in der Urkirche, liegt auf der Hand. Daher wird die „Gemeinderegel" des Mattäus heute aktueller sein denn je.

Ich fasse sie nochmals zusammen:

1. Wenn du mit irgendjemandem Probleme hast, dann rede mit ihm. Schick keine anonymen Briefe - denn die sind Zeichen der Feigheit, und ein vernünftiger Mensch wird solches Schreibwerk vernichten, ohne es gelesen zu haben. Rede auch nicht hinter seinem Rücken über ihn - das ist unfair und erzeugt nur Haß, wen der Betreffende es erfährt. Nein: rede in ruhigem, sachlichem Ton mit ihm selber - vielleicht bei einem Glas Bier - wenn er vernünftig ist, dann geht er darauf ein.

2. Nützt dieses Gespräch unter vier Augen nichts, dann vereinbare ein Treffen mit einigen wenigen Vertrauenspersonen. Sie sollten möglichst neutral sein - also weder auf deiner Seite noch auf der Seite des anderen stehen. Vielleicht können die dann Mißverständnisse klären oder Kompromißvorschläge bringen.

3. Erst im äußersten Notfall, wenn überhaupt kein Kompromiß oder keine Lösung erzielt werden kann, beanspruche Amtspersonen oder Gerichte. Dann müssen eben Gesetze den Fall regeln - notfalls mit dem Druck rechtlicher Maßnahmen.

So weit sollte es ja eigentlich nicht kommen - aber wie gesagt: schon in der Gemeinde des Mattäus wurden manchmal drastische Maßnahmen notwendig. Aber man versuchte wenigstens, eine Lösung im Geiste Jesu, im Geist der Liebe, zu erzielen - und das möchte ich auch uns Heutigen empfehlen.

AMEN

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