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20. Jahressonntag

Thema: Jesus lernt dazu
Lesg./Ev.: Mt 15,21-28
geschrieben am 14.08.1999
von E. Gottsmann, OStR

 

Evangelium

15,21 Von dort zog sich Jesus in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück. 22 Da kam eine kanaanäische Frau aus jener Gegend zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält. 23 Jesus aber gab ihr keine Antwort. Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Befrei sie (von ihrer Sorge), denn sie schreit hinter uns her. 24 Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. 25 Doch die Frau kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir! 26 Er erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen. 27 Da entgegnete sie: Ja, du hast recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen. 28 Darauf antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.

Predigt

Liebe Christen!

Für unsere gewohnte Vorstellung von Jesus als dem alles Wissenden und alle Liebenden ist das heutige Evangelium eine gewaltige Zumutung.

Eine Frau, die eine schwerkranke Tochter hat (nach damaliger Vorstellung werden Krankheiten von Dämonen verursacht), bittet Jesus um Hilfe. Der aber antwortet ihr nicht einmal. Warum reagiert er so, wo er doch Unzähligen bereitwilligst geholfen hat? Es wird im Text deutlich genug gesagt: weil die Frau keine Jüdin ist. Mir kommt das genauso vor, wie wenn ich mich weigere, einem kranken Nachbarn den Arzt zu holen, weil er ein Moslem ist!

Eigentlich bräuchte man sich gar nicht über diese Einstellung wundern, denn die Juden der damaligen Zeit betrachteten tatsächlich Heiden als Gottesfeinde, und die Bezeichnung „Hunde" für Nichtjuden spricht Bände. Nur - von Jesus hätten wir das nie gedacht, daß er so intolerant und engstirnig sein kann!

Auf den zweiten Anlauf der Frau antwortet Jesus wenigstens, wenn auch ablehnend: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt!" - was nichts anderes bedeutet, als daß ihn Nichtjuden nichts angehen.

Aber die Frau läßt nicht locker. Sie wirft sich vor Jesus auf die Knie, wie man sich eigentlich nur vor Königen erniedrigt. Nun begründet Jesus wenigstens seine Haltung: „Es ist nicht recht, daß man den Kindern ihr Brot nehme und es vor die Hunde werfe!" Da haben wirs: also sind die Juden Kinder, die Heiden nur Hunde.

Eine peinliche Situation. Ich kann die tapfere und beharrliche Frau nur bewundern. An ihrer Stelle hätte ich daraufhin diesen intoleranten jüdischen Rabbi einfach stehen lassen, denn so eine Demütigung kann man sich einfach nicht gefallen lassen. Aber sie gibt immer noch nicht auf, denn wichtiger als ihre Ehre ist ihr die Gesundheit ihrer Tochter: „Du hast ja recht, Herr; aber auch die Hunde kriegen etwas vom Essen ab, wenigstens den Abfall!"

Jesus ist perplex. Er gibt sich geschlagen - ja mehr noch, er bewundert ihr Vertrauen. Und deshalb kann die Frau beruhigt nach Hause gehen: ihre Tochter wird gesund sein.

Was uns bei dieser Geschichte so sauer aufstößt, ist die Erkenntnis, daß Jesus anscheinend genauso stur und prinzipienreiterisch sein konnte wie wir selbst es oft sind. Das paßt einfach nicht zu dem Bild, das wir von Jesus eingetrichtert bekamen, im Religionsunterricht wie in Predigten.

Aber wenn wir akzeptieren können, daß Jesus genauso zu lernen hatte wie wir, dann sieht die Sache ganz anders aus. Jesus ist ja nicht stur geblieben - er hat sich schließlich doch den Argumenten der Frau geöffnet.

Und das war nicht nur für die Tochter heilsam, es war auch heilsam für Jesus selbst. Im strengen jüdischen Glauben erzogen, nachdem die Heiden auch für Gott „die Anderen" waren, war er sich sicher zunächst gar nicht bewußt, daß sein Verhalten der Frau gegenüber mit der universellen Liebe Gottes unvereinbar war. Erst die Hartnäckigkeit, der unbeirrbare Glaube der Frau zeigte ihm die engen Grenzen seines jüdischen Denkens und machte ihm bewußt, daß Gott alle liebt, nicht nur die Juden.

Ähnliche Lernprozesse mußten später auch die Apostel durchmachen, als es darum ging, ob Heiden zunächst Juden werden müßten, bevor sie getauft werden konnten. Auch sie haben nach vielen Bedenken und Diskussionen dazugelernt - und hier war es Paulus, der die Grenzen aufzeigte.

Der Weg Jesu - und später der Apostel - ging von der Enge zur Weitherzigkeit, von Prinzipien zur Liebe. Dieser Weg sollte auch der unsere sein.

Hoffen wir, daß auch uns Menschen begegnen, die uns unsere geistige Enge, unsere Intoleranz und unsere starren Prinzipien bewußt machen, und daß wir uns dann genauso überzeugen lassen, wie Jesus es tat!

AMEN

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