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11. Jahressonntag 1999

Thema: Verschwindet, Aber-Geister!
Mt 9,36-10,8
gehalten am 13.06.99 09:00 in Eschenbach
von Eberhard Gottsmann, OStR

 

Evangelium

Mt 9,36 Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben. 37 Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. 38 Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.

10:1 Dann rief er seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen. 2 Die Namen der zwölf Apostel sind: an erster Stelle Simon, genannt Petrus, und sein Bruder Andreas, dann Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und sein Bruder Johannes, 3 Philippus und Bartholomäus, Thomas und Matthäus, der Zöllner, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus, 4 Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn später verraten hat. 5 Diese Zwölf sandte Jesus aus und gebot ihnen: Geht nicht zu den Heiden, und betretet keine Stadt der Samariter, 6 sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. 7 Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe. 8 Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Kostenlos habt ihr empfangen, kostenlos sollt ihr geben.

Predigt

Liebe Zuhörer!

Die verschiedenen Aufträge, die Jesus uns im heutigen Evangelium erteilt, dürften nicht gerade leicht zu erfüllen sein.

Heilen Sie doch mal einen Kranken! Da haben Sie schnell das Gericht am Hals, wenn Sie nicht gerade eine vorschriftsmäßige Prüfung absolviert haben. Nein, zum Heilen sind die Ärzte da, vielleicht auch noch die Heilpraktiker. Also: Hände weg! Das ist nichts für uns Laien.

Mit dem Totenerwecken ist es schon gar nichts; da braucht man eine Menge teuerer Reanimationsgeräte und eine gediegene Ausbildung; und wenn schon zu viel Zeit vergangen ist, dann schafft es auch eine Intensivstation nicht mehr.

Leprakranke zu heilen ist dagegen heutzutage nicht mehr so problematisch. Für die Spende von ein paar Mark kann man einem Aussätzigen die Gesundheit wiedergeben, vorausgesetzt natürlich, die Krankheit wird nicht zu spät behandelt. Aber im übrigen gilt dasselbe wie für die Heilungen: Heilen ist Sache der Mediziner.

Na, und Dämonen? Es dürfte ziemlich selten sein, daß Sie mal einen Besessenen zu Gesicht bekommen. Geisteskranke sind meist in geschlossenen Anstalten, und mit dem Rest wird ein gewisser norditalienischer Geistlicher, zu dem ganze Busse unterwegs sind (oder auch vatikanische Exorzisten) spielend fertig.

Und wie steht es mit der Verkündigung des Gottesreiches? Versuchen Sie ja nicht, irgendwo auf eine Kanzel zu steigen: Laienpredigt ist nach der bekannten päpstlichen Instruktion streng verboten. Da können Sie ganz schön Ärger kriegen!

Es sieht also so aus, als gäbe es für uns Normalgläubige nicht mehr viel zu tun. Es sieht so aus - aber der Schein trügt.

Was heißt denn eigentlich „Heil", was bedeutet „heilen" oder das verwandte Wort „heil-ig"?

Wenn ein Mensch heil ist, dann ist er gesund. Natürlich zunächst einmal körperlich - aber Grundlage und Voraussetzung dafür ist die seelische und geistige Gesundheit. Bayrisch gesagt: wenn wir „gut beisammen" sind, wenn es uns rundherum gut geht, dann sind wir „heil".

Aus Erfahrung wissen wir: das „Heil-sein" ist etwas ganz Seltenes. Nur in wenigen „Sternstunden" können wir das Gefühl haben, daß wir innerlich und äußerlich in Harmonie, ausgeglichen und glücklich sind, eins mit uns selbst, mit unseren Mitmenschen und mit Gott. Dann haben wir für kurze Zeit das Gefühl: „Das ist das wahre Leben!"

Meist aber ist unser Leben behindert, von inneren und äußeren Zwängen beherrscht, von Angst bestimmt - und von schlechtem Gewissen. Seelische Wunden von früher brechen auf, Erinnerungen an unverdaute Ereignisse quälen uns, der moralische Zeigefinger von Eltern, Priestern und Nachbarn ragt vor uns auf (Sigmund Freud sagt „Über-Ich" dazu); manchmal kann man schon das Gefühl haben, seelisch gelähmt, aussätzig oder gar tot zu sein.

Das Schlimmste aber sind die Dämonen, die uns beherrschen. Nun glauben Sie aber bitte nicht, ich würde die naiven Vorstellungen antiker, biblischer Menschen teilen. Natürlich kannte man vor 2000 Jahren noch keine psychologischen Abläufe, wußte nichts von Neurosen und Komplexen. Aber die Sache gab es damals wie heute.

Nicht nur ausgesprochene Zwangsneurotiker müssen erfahren, daß sie wie „ferngesteuert" sind, daß sie gleichsam von fremden Mächten beherrscht sind. Wir alle sind es - und merken es meist nicht.

Mich persönlich hat die Bibelübersetzung von Fridolin Stier auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht. Er übersetzt nämlich alle neutestamentlichen Stellen, in denen von Dämonen die Rede ist, mit „Abergeister". „Aber" - wie es noch in „Aber-Glaube" oder „Aber-Witz" verwendet wird, hieß früher: „verkehrt": also „verkehrter Glaube" oder „verkehrte Weisheit". „Aber-Geister" wären also „verkehrte Geister", oder besser: etwas in unserem Geist, das immer „aber" sagt, das immer zum Gegenteil aufruft.

Wie gesagt: wie sehr uns diese „Aber-Geister" beherrschen, merken wir schon gar nicht mehr. Ich möchte beispielsweise einmal ausspannen, habe genug von Streß und Arbeit. Ich spüre: ich brauche dringend eine Pause. Ich möchte mir einen Liegestuhl holen, leise Musik hören oder einen Roman lesen. „Aber" - so flüstert ein Abergeist in meinem Kopf - „aber das kannst du doch nicht tun, jetzt, am hell-lichten Tag! Was werden denn die Nachbarn denken! Die werden dich für faul und genußsüchtig halten! Und hat deine Mutter nicht schon immer gesagt: das Leben besteht nun mal aus Arbeit; ruhen kannst du mal im Grab!"

Oder: Ich erfahre, daß ein Bekannter ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Etwas in mir sagt: „Los, besuche ihn, er braucht jetzt Trost und Nähe!". Und schon sind wieder die „Aber-Teufel" am Werk: „Aber - weißt du denn, ob ihm jetzt dein Besuch willkommen ist? Er ist vielleicht frisch operiert und braucht Ruhe! Außerdem kannst du ihn auch morgen noch besuchen, es ist jetzt wichtiger, daß du den Rasen mähst! Wer weiß, ob es morgen regnet!"

Ich schlage Ihnen ein nützliches Spiel vor: machen Sie sich doch selbst oder einander darauf aufmerksam, wenn diese Aberteufel in Aktion treten! Sie werden sich wundern, wie beherrschend und dominant diese Kerle sind. Und wenn sie sich derer einmal bewußt geworden sind, dann merken Sie bald auch, wie diese „Dämonen" in ihrem Kopf Leben, Liebe und Glück abwürgen.

Heil können wir nur sein, wenn wir diese lebens- und liebesfeindlichen Gedanken zum Schweigen bringen. Wenn wir es schaffen, ohne Wenn und Aber der Stimme des Herzens, der Stimme der Liebe zu folgen - oder mit den Worten Jesu: wenn wir das Reich Gottes, das Reich der Liebe verwirklichen. Erst dann, wenn wir selbst „heil" sind, dann werden wir für andere ansteckend, ob uns das bewußt wird oder nicht. Andere mit dem eigenen „Heil" anstecken - das bedeutet „heil-ig", heilend sein! Dann ist das „Himmelreich" nahe, dann erfüllen wir Jesu Auftrag.

Erinnern Sie sich, wie Jesus einen von „Abergeistern" Besessenen anfährt: „Schweig und verlaß ihn!" (Mk 1,25) Diese Art von „Dämonenaustreibung" könnten auch wir versuchen, nämlich die „Abergeister" in uns zum Schweigen zu bringen, die uns am Leben, an der Liebe und am Glück zu hindern versuchen. Wer weiß - vielleicht ergeben sich dann die anderen Wunder wie von selbst?

AMEN

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