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Osternacht 1999

Thema: Das Grab meiner Seele
gehalten am 03.04.1999 um 20:00 im Kolpingferienheim Immenreuth
von Eberhard Gottsmann, OStR

Predigt:

Liebe Christen!

Mönche in Ägypten kannten eine recht makabre Übung, die ihrer Vervollkommnung dienen sollte: sie stellten sich vor, drei Tage lang in einem Grab zu liegen.

Wenn es uns auch beim bloßen Gedanken daran schaudert - so schlecht ist diese Übung nicht. Natürlich kann es sich dabei nicht um ein materielles Grab aus Erde oder um eine Gruft aus Stein handeln. Ich meine die Begräbnisstätte, die wir - ohne es zu wissen - dauernd mit uns herumtragen.

Der Altmeister der Tiefenpsychologie, Carl Gustav Jung, lehrt uns nämlich, daß jeder von uns ein persönliches Unbewußtes hat; eine Schicht unserer Seele, aus der nur ausnahmsweise etwas in unser Bewußtsein gelangt. Und dort haben wir vieles „begraben", hinuntergedrängt, was wir nicht wahrhaben wollten, was wir sozusagen „vom Leben ausgeschlossen" haben.

Wünsche sind es, von denen wir glaubten, daß sie nicht in Ordnung sind; Bedürfnisse, vor denen wir Angst hatten; Möglichkeiten und Chancen, die uns gefordert hätten und Anstrengung von von uns verlangen.

Dabei verhalten wir uns wie eine Putzfrau, die den Dreck, der beim Osterputz anfällt, nicht in den Abfalleimer wirft, sondern unter den Teppich kehrt.

Oder ein anderer Vergleich: statt zu kauen, würgen wir Brocken, die uns nicht recht schmecken, einfach hinunter.

Aber Dreck und Brocken verschwinden dadurch nicht einfach, wie auch unsere verdrängten Gefühle und Ängste sich nicht einfach in Luft auflösen. Wenn wir auch nichts mehr davon wissen - wenn es „unbewußt" geworden ist - es ist da und macht sich immer wieder einmal bemerkbar.

So schleppen wir viel Totes, Verfaultes, Verwestes in uns herum, vieles, das „im Grab liegt" und in uns ein Schattendasein führt.

Und ab und zu bricht es wieder störend hervor, wie Gespenster, die aus dem Dunkeln auftauchen - gerade zu Zeiten, wo wir das am wenigsten brauchen können. Dann lähmt es unseren Lebenswillen, läßt uns unerwartet reagieren oder ruft sogar körperliche Beschwerden hervor, die herkömmliche Arzneien gar nicht heilen können, weil sie die Wurzel der Symptome nicht erfassen.

Psychotherapeuten kennen diese Zusammenhänge - ihre Behandlungsräume sind voll von solchen Patienten.

Oft gehen solche abgestorbenen seelischen Leichenteile auf frühe Kindheitserfahrungen zurück:

Ich wurde als Kind alleingelassen oder schwer enttäuscht. Das soll mir nie wieder passieren! Daher ziehe ich mich lieber von vorneherein auf mich zurück.

Oder: ich mußte mir schon als Kind Zuneigung und Anerkennung „erarbeiten"; nur durch immer perfektere Leistungen konnte ich hoffen, daß mich meine Eltern mögen. Aber auch durch solche Anstrengungen bekam ich keine Zuwendung - im Gegenteil: man verlangte noch mehr, noch Perfekteres von mir. Daher besteht mein Leben nur noch aus Arbeit, ich gönne mir selbst nichts, lebe nur noch für andere - und dabei habe ich mein eigentliches Motiv, das Ringen um Zuneigung, längst vergessen.

Oder: ich bin als Kind verletzt, ausgelacht, verachtet worden. Jetzt schlage ich so um mich, daß man mich ernstnehmen muß! Wenn man mich schon nicht liebt, dann soll man mich wenigstens fürchten.

Oder: Ich habe Angst, in mir Unangenehmes, ja Böses zu entdecken. Daher schaue ich nicht in mich hinein, mache ich meine Augen vor mir selbst zu. Ich bastle mir ein ideales Selbstbild zurecht, ich spiele ideale Rollen - nur um die Wirklichkeit, die Schatten, die Falten und Warzen meiner Seele nicht zu sehen.

Oder schließlich: ich kann und will mich selbst in Ordnung bringen, „heil machen". Ich brauche keinen anderen dazu, denn ich will nichts geschenkt - von niemandem, auch von Gott nicht. Ich kann meine Probleme allein lösen, ich komme schon allein zurecht. Zwar mache ich immer wieder die Erfahrung, daß das nicht funktioniert, aber nun gerade erst recht: es muß doch zu schaffen sein!

So mauern wir uns unsere eigene Gruft. So schleppen wir Steine in uns herum, die uns wie der Wolf im Märchen in den Brunnen hinabziehen; so tragen wir Vermodertes in unserer Seele, das uns von innen heraus vergiftet.

Was hat das alles mit der Osternacht zu tun?

Wenn Christus drei Tage im Grab gelegen ist, wenn er - wie das Glaubensbekenntnis formuliert - in das „Reich des Todes" hinabgestiegen ist, dann ist das unser Totenreich, unser eigenes Seelengrab, das er aufbrechen will, in das er Licht und Leben bringen möchte! Christus ist ja nicht nur dem Bösen begegnet, das offen zu Tage tritt; er ist auch in das Böse hineingestiegen, das unter der Oberfläche verborgen ist. Und das ist noch viel zerstörerischer als das, was sich offen zeigt. Wir erschrecken ja oft selbst vor unseren gemeinen und unmenschlichen Gedanken und Wünschen, die aus uns heraufsteigen. Wir sind ja oft selbst entsetzt über die Zerstörungskraft, zu der wir fähig sind! Wir spüren ja oft selbst, wie sehr uns diese Mauern den Zugang zu Gott verbauen.

In der antiken jüdischen Welt war man überzeugt, daß die „Unterwelt" - die Scheol - der einzige Ort ist, wo Gott nicht zu finden ist. Jesus korrigiert diese Vorstellung: es gibt keinen Ort, wo ER nicht anwesend ist. Allerdings: an der Freiheit des Menschen hat selbst die Allmacht Gottes ihre Grenze; und daher ist es so wichtig, die Mauern von ihm aufbrechen zu lassen, die man selbst geschaffen hat. Er bricht sie auch auf - wenn man ihn nur läßt! Er bricht sie auf - aber stets durch „Engel" - „Boten der Liebe Gottes" - und das sind nicht unbedingt geflügelte Wesen! Die Frauen, die frühmorgens, „als eben die Sonne aufging", zum Grabe kamen, konnten ja den Stein gar nicht selbst von der Gruft wälzen - sie mußten fremde Hilfe - eben die eines „Engels" - in Anspruch nehmen.

Das wäre auch für uns heutige die Erlösung: es zuzulassen, daß andere dabei helfen, den „Betondeckel" von unserer Seelengruft zu wälzen und Gott - und damit Licht und Leben - auch in die Seelenwinkel zu lassen, für die wir uns schämen und die wir am liebsten „begraben" sein lassen.

Kennen Sie die Schauergeschichte von der Schönen und dem Biest? Das Mädchen (ein wahrhafter „Engel"!) erlöst das Ungeheuer dadurch, daß sie sich von seinem erschreckenden Aussehen nicht abstoßen läßt und es trotzdem liebt! Das trifft genau die Frohe Botschaft der Kartage und des Osterfestes: Gott liebt dich unendlich, ohne Bedingung und ohne Einschränkung; mit all den Schattenseiten und Gespenstern, die dich ängstigen, für die du dich schämst und die dich gefangen halten!

Wenn du das erkannt hast, dann darfst auch du den Stein wegwälzen, der auf deiner Seelengruft liegt, dann darfst du ihn, das Licht und das Leben, hineinlassen in die unappetitlichsten Ecken der Seele. Wenn du das tust, dann lösen sich all die seelischen Gespenster und Vampire, die dich quälen, wie Dunst auf - dann kannst du auferstehen, als neuer Mensch leben!

AMEN

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