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Ostermontag 1999

Thema: ... und sie erkannten ihn
Lesg./Ev.: Lk 24,13-35
gehalten am 04.04.99 19:00 Schwarzenbach
von Eberhard Gottsmann, OStR

Lesung / Evangelium:

13 Am gleichen Tag waren zwei von den Jüngern auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist. 14 Sie sprachen miteinander über all das, was sich ereignet hatte.
15 Während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus hinzu und ging mit ihnen. 16 Doch sie waren wie mit Blindheit geschlagen, so daß sie ihn nicht erkannten. 17 Er fragte sie: Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet? Da blieben sie traurig stehen, 18 und der eine von ihnen - er hieß Kleopas - antwortete ihm: Bist du so fremd in Jerusalem, daß du als einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist?19 Er fragte sie: Was denn? Sie antworteten ihm: Das mit Jesus aus Nazaret. Er war ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk. 20 Doch unsere Hohenpriester und Führer haben ihn zum Tod verurteilen und ans Kreuz schlagen lassen. 21 Wir aber hatten gehofft, daß er der sei, der Israel erlösen werde. Und dazu ist heute schon der dritte Tag, seitdem das alles geschehen ist. 22 Aber nicht nur das: Auch einige Frauen aus unserem Kreis haben uns in große Aufregung versetzt. Sie waren in der Frühe beim Grab, 23 fanden aber seinen Leichnam nicht. Als sie zurückkamen, erzählten sie, es seien ihnen Engel erschienen und hätten gesagt, er lebe. 24 Einige von uns gingen dann zum Grab und fanden alles so, wie die Frauen gesagt hatten; ihn selbst aber sahen sie nicht.
25 Da sagte er zu ihnen: Begreift ihr denn nicht? Wie schwer fällt es euch, alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben. 26 Mußte nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen? 27 Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht. 28 So erreichten sie das Dorf, zu dem sie unterwegs waren. Jesus tat, als wolle er weitergehen, 29 aber sie drängten ihn und sagten: Bleib doch bei uns; denn es wird bald Abend, der Tag hat sich schon geneigt. Da ging er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben. 30 Und als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen.
31 Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr. 32 Und sie sagten zueinander: Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloß? 33 Noch in derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück, und sie fanden die Elf und die anderen Jünger versammelt. 34 Diese sagten: Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen. 35 Da erzählten auch sie, was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach.

Predigt

Liebe Zuhörer,

vielleicht kennen Sie die Anekdote vom alten Landpfarrer, dem partout nichts Neues mehr zur Emmausgeschichte einfallen wollte. Daher beschloß er, sich ganz dem Heiligen Geist anzuvertrauen, und stieg auf die Kanzel.

„Zwei Jünger gingen nach Emmaus" begann er. „Kein Einzelner war da unterwegs; es waren auch nicht drei! Zwei Jünger gingen nach Emmaus. Nicht ein Gefährt hatten sie erwählt; nicht mit Roß und nicht mit Maultier waren sie losgezogen - nein: Zwei Jünger gingen nach Emmaus, bescheiden und anspruchslos. Der durch unseren Herrn Jesus Christus geheiligte Ort - nicht weit von Jerusalem - hätte zwar auch A-mmaus oder I-mmaus oder gar U-mmaus heißen können: doch beginnt sein Name mit dem frommen Buchstaben E: Zwei Jünger gingen nach E-mmaus! Auch nicht nach dem gefährlichen Hund, nicht nach der listigen Katze war das Dorf benannt: nein E-mmaus ließ sich das Dorf demütig nennen. Dies alles - und noch viel mehr - berichtet Lukas in seinem Evangelium zur bleibenden Erinnerung aller wahrhaft Christgläubigen! Amen"

Liebe Christen! Ganz so einfach wollen wir es uns heute nicht machen: denn die Geschichte gehört für mich zu den Schlüsselerzählungen der Evangelien. Ich bin überzeugt, daß damit Lukas nicht das einmalige Erleben zweier unbekannter Schüler Jesu schildern wollte, sondern eine allgemeingültige, wenn auch gleichnishafte Erfahrung.

Die Situation, in der sich die beiden auf den Weg machen, ist hoffnungslos. Kaum drei Tage liegt es zurück, da ihr geliebter Rabbi und Freund, ihr „Engel der Frohen Botschaft" auf brutalste Weise ums Leben kam. Und schlimmer noch: Gott selbst wollte anscheinend mit diesem Menschen Jesus nichts zu tun haben - denn der Kreuzestod galt im Gesetz des Mose als Tod eines Gottverfluchten.

In einer solchen Stimmung neigt man dazu, sich von der Umwelt abzukapseln. Vielleicht öffnet man sich noch einem Mitbetroffenen - aber im Grunde bohrt man auch zu zweit immer im selben Loch, fühlt sich wie abgeschnitten von anderen, vom Leben überhaupt. Ein Fremder kann da nur stören - „Laß uns doch in Ruhe! Wir wollen in unserer Trauer allein sein."

Das Entscheidende an unserer Geschichte: die zwei Trauernden verhalten sich anders. Trotz ihres depressiven, dunklen Lochs, in dem sie stecken, nehmen sie den für sie Fremden wahr. Es wird nicht gesagt, daß sie ihn zum Mitgehen eingeladen hätten; es scheint eher so, als hätte sich der Fremde ihnen sanft aufgedrängt. Mit seiner einfühlenden Anteilnahme: „Was sind das für Sachen, die ihr da miteinander besprecht?" öffnet er gleichsam eine Tür zu ihrer seelischen Dunkelheit. Sie sprudeln geradezu hervor, was sie so bedrückt - sie sagen ihm ihre enttäuschten Hoffnungen, ihre Zweifel, ihre Gefühle.

Erstaunlich, daß sie das tun! Es ist schließlich jemand, den sie gar nicht kennen; wie leicht könnte der ein Spion der jüdischen „Glaubenskongregation" oder gar der Römer sein! Aber sie haben - unbegreiflicherweise! - Vertrauen zu ihm: dieser Mensch hört ihnen wirklich zu; nicht Neugierde oder lauernde Schlauheit spüren sie bei ihm, sondern echte Anteilnahme, ungeteilte Aufmerksamkeit!

Und nun folgt etwas, das ich in ungezählten Seelsorgsgesprächen erlebt habe und immer wieder erlebe: tief im Innersten kennt jeder Trauernde, jeder Hoffnungslose die Lösung, seine ganz individuelle, nur für ihn passende Lösung. Aber Angst, Trauer oder Verzweiflung macht blind; im Grunde bräuchte man nur die Augen zu öffnen - und die Krise wäre beendet. Und gerade das schafft man nicht alleine. Ein einfühlsamer, aufmerksamer Außenstehender braucht nur einige wenige Anstöße zu geben; einen etwas anderen Blickwinkel beizusteuern - und schon ist man dabei, klarer zu sehen. Eine bewährte Gesprächsregel besagt: „Wenn zu dir ein Ratsuchender kommt, dann will er deinen Rat eigentlich gar nicht. Aber wenn du ihm nur aufmerksam zuhörst, wenn du ihn hin und wieder auf bestimmte Worte oder Zusammenhänge aufmerksam machst, dann findet er - wenn alles gut geht - selber seinen Weg!" Dabei habe ich eine sonderbare Erfahrung gemacht: obwohl ich in den meisten Fällen fast nichts sage, sondern nur zuhöre, was der andere erzählt, hat man mir schon häufig gesagt: „Jetzt geht es mir schon viel besser - danke für das Gespräch!"

Ehrlich gesagt, ich hatte nicht den Eindruck, allzuviel zu dem „Gespräch" beigetragen zu haben. Und trotzdem solch ein Erfolg! Ich habe inzwischen gelernt, solche „Wunder" nicht mir selbst zuzuschreiben. Ich fühle mich eher als Werkzeug, als eine Art „Katalysator"! Und es könnte sein, daß auch der Ratsuchende im Innersten spürt: es ist eigentlich nicht dieser Seelsorger oder Gesprächspartner, der mir geholfen hat - durch ihn bin ich dem Herrn selbst begegnet; er ist es in Wirklichkeit, der mich wieder heil macht, in Ordnung bringt.

Zurück zu unserer Emmausgeschichte: die Erklärungen des Unbekannten, daß die scheinbare Katastrophe in Wirklichkeit zum Erlösungsplan Gottes gehört, dringen tief; sie können sich gar nicht satthören, nachdem ihnen immer mehr „ein Licht aufgegangen" ist. Sie zwingen den Unbekannten förmlich, bei ihnen zu bleiben - denn die Nacht droht hereinzubrechen. Wenn jemand wie ein Licht ist, dann kann er auch helfen, die Nacht - auch die seelische - zu überstehen. Noch fehlt ein kleiner Schritt zur „Erlösung"; noch sind sie nicht ganz aus ihrer Angst und Verzweiflung befreit. Noch sind sie auf die äußere Gegenwart dieses „Boten der Frohbotschaft" angewiesen.

Aber in dem Augenblick, da der Fremde Brot bricht und es an sie verteilt, begreifen sie auch den Rest: die äußere Anwesenheit ist nun gar nicht mehr so wichtig, weil der Auferstandene ihnen innerlich näher ist als er es äußerlich je sein konnte, selbst in einem wildfremden Menschen! Jetzt wird auch klar, was Jesus bei seinen Abschiedsreden meinte: „Wenn ich zum Vater gegangen bin, werde ich meinen Geist senden!" Sein Geist - das ist seine Gesinnung, seine Liebe, ja er selbst in einer unbeschreiblichen, alle physikalischen Gesetze sprengenden Weise.

Was bedeutet das für uns?

Die Emmausjünger haben uns heutigen Menschen nichts voraus. Obwohl sie dem Auferstandenen „leibhaftig" begegnen, erkennen sie ihn gar nicht. Auch sie müssen erst lernen, daß in jeder wirklichen Beziehung in Wirklichkeit ER zu finden ist, dort, wo Menschen aufeinander eingehen, wo sie sich akzeptieren - und vor allem: wo sie teilen!

Teilen - das muß nicht unbedingt Brot oder Nahrung sein; auch die Zeit, die man einem Menschen schenkt, auch die Wegbegleitung, die man einem Hilfesuchenden gewährt, auch die Zärtlichkeit, mit der man seine Liebe ausdrückt - all das sind Möglichkeiten, IHM zu begegnen, auch und gerade in fremden Menschen.

AMEN

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