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Karfreitag 1999

Thema: Aufs Kreuz legen - festnageln
Lesung: Passion
gehalten am 02.04.99 um 15:00 in Pressath
von Eberhard Gottsmann, OStR

Predigt:

Liebe Christen!

Hat sie schon einmal jemand aufs Kreuz gelegt? Vielleicht ein Geschäftspartner, ein Vertreter, ein Autoverkäufer, der Sie übervorteilt hat? Dann kennen Sie das Gefühl der ohnmächtigen Wut: man möchte sich so gern rächen, aber der andere war einfach zu clever. Vielleicht gibt es der andere auch mit einem Grinsen zu: denn es ist heute durchaus gesellschaftsfähig, andere aufs Kreuz zu legen. Es ist nicht einmal mehr ein „Kavaliersdelikt", sondern übliche Geschäftspraxis. Wenn sich der andere aufs Kreuz legen läßt ...?

Noch eine Frage:

Hat Sie schon einmal jemand festgenagelt? Ich meine es so: Sie haben irgend einen Satz gesagt, der vielleicht etwas unglücklich formuliert war. Und nun nimmt Sie der andere beim Wort - obwohl Sie es eigentlich ganz anders gemeint haben. Daß Sie das jetzt zurechtrücken wollen, interessiert den anderen gar nicht. Gesagt ist gesagt. Sie werden festgenagelt, beim Buchstaben - und nicht beim Sinn genommen.

Wenn Sie das schon erlebt haben, dann kennen Sie auch das Gefühl der ohnmächtigen Wut: man möchte sich rechtfertigen, aber der andere interessiert sich gar nicht dafür. Er weiß ganz sicher, wie sie es wirklich gemeint haben - aber er gibt ihnen keine Chance.

Einen Menschen aufs Kreuz legen - ihn festnageln: das ist keine einmalige Angelegenheit eines Freitags im Jahre 30 nach Christus. Das ist gang und gäbe, seit es menschliches Bewußtsein gibt. Und allem Anschein nach wird es ohne besondere Gewissensbisse praktiziert - damals wie heute. Was mir vor kurzem ein Geschäftsmann bestätigt hat, das hätte man bestimmt schon vor zweitausend Jahren gesagt: „Und - was ist schon dabei? Das macht doch heutzutage jeder! Anders kann man heute nicht mehr überleben, bei der Konkurrenz! Es kommt einfach darauf an, cleverer, schneller, gewiefter zu sein als der andere - das ist alles!"

Liebe Christen!

Vielleicht können sich manche von Ihnen vorstellen, wie ich mich bei diesen Worten gefühlt habe. Ich spürte: jedes weitere Wort wäre vergeblich, jedes Argument sinnlos. Denn dieser Mann hatte eine Entscheidung getroffen - und zwar schon lange zuvor! Es war die Entscheidung für seine eigene Person, sein eigenes Wohl, seinen eigenen Vorteil - und gegen die Person des anderen, gegen dessen Wohl. Theologisch ausgedrückt: es war die Entscheidung gegen Gott. Denn wenn Gott die Liebe ist, dann ist jede Lieblosigkeit Gottlosigkeit - ob gegen Gott selbst, gegen Menschen, Tiere oder die übrige Schöpfung. „Was ihr den geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!"

Der Evangelist Johannes, von dem auch die Leidensgeschichte des Karfreitags stammt, sieht in der gesamten Menschheitsgeschichte diese große Polarisierung am Werk: für Gott, für Liebe - und gegen Gott, gegen Liebe. „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt ... aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen ... die aus Gott geboren sind".

Diese Entscheidung kennt keinen billigen Kompromiß. Für die Liebe, für Gott - oder gegen die Liebe, gegen Gott; das gilt bei den kleinen Entscheidungen des Alltags genauso wie bei den großen der Weltgeschichte. Einen Nachbarn aufs Kreuz zu legen - ihn auf sein Wort festzunageln - das ist wesensmäßig genau das gleiche wie das, was am Karfreitag des Jahres 30 mit Jesus geschah. Beides ist nur quantitativ verschieden; der Geist, der im wahrsten Sinn des Wortes wider-göttliche Geist, der hinter beidem steckt, ist derselbe. Die Kreuzigung Jesu macht es vielleicht eher bewußt, wozu dieser Geist führen kann: man ist fast gezwungen, wegzuschauen, nicht daran zu denken, so brutal und unmenschlich ist diese Marter. Aber im Grunde steckt hinter jeder Rücksichtslosigkeit, jedem Egoismus, jeder Menschenrechtsverletzung das gleiche Prinzip.

Johannes hat das so klar erfaßt, wie sonst kaum einer. Die Kreuzigung ist nur das Endergebnis: die Entscheidungen haben schon lange vorher begonnen. Auch Kriege, blutige Ausschreitungen, Folterungen und Vergewaltigungen sind nur das Endergebnis: die Entscheidungen haben schon lange vorher begonnen. „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen - nein, nicht den Frieden, sondern das Schwert!" - das Schwert der Entscheidung, für ihn oder gegen ihn, für die selbstlose Liebe oder für die Selbstliebe, für Gott oder gegen Gott.

Das "Teuflischste" daran ist, daß die meisten dieser Lieblosigkeiten auch noch unter dem Deckmäntelchen der Gottesliebe ablaufen. Der vorhin erwähnte Geschäftsmann, der es als so selbstverständlich ansah, andere übers Ohr zu hauen, „aufs Kreuz zu legen", betrachtet sich doch tatsächlich als guten Christen. Und er gilt auch als solcher! Jeder weiß: der würde nie eine Sonntagsmesse versäumen, wenn er nicht gerade sterbenskrank ist! Er ist im Vorstand so mancher kirchlicher Vereine - und was die Spenden betrifft, da läßt er sich nicht lumpen! Ist dieser Mensch denn nicht ein vorbildlicher Christ? - Und trotzdem hat er nichts von dem begriffen, worum es Jesus eigentlich ging.

Und die Schriftgelehrten, Pharisäer und Ratsherren damals? Vorbilder an Frömmigkeit, Spendenfreudigkeit und Selbstkasteiung waren sie! Und doch fanden sie es ganz in Ordnung, einen „aufs Kreuz zu legen", einen „festzunageln" - schon lange vor der tatsächlichen Kreuzigung. Und das alles im Namen Gottes!

AMEN

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