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Fastenpredigt II

Thema: 7 Hauptsünden II (Unkeuschheit, Zorn, Trägheit, Unmäßigkeit)

gehalten am 04.03.1999 19:00 ESB

von Eberhard Gottsmann, OStR

Liebe Christen!

Es gibt Themen, über die man am liebsten gar nicht redet. Die sind „tabu", so sagt man, und denkt trotzdem darüber nach - geheim halt, ohne daß es ein anderer merkt. Oder man verbietet sich selber, darüber nachzudenken, und verdrängt damit dieses Tabuthema in unbewußte Bereiche der Seele, wo es dann ganz schön Schaden anrichten kann.

Solch ein „Tabuthema" ist auch die Unkeuschheit. Ich erinnere mich noch gut daran, daß mich vor vielen Jahren ein Hauptschullehrer - ein mehrfacher Vater, wohlgemerkt! gebeten hat: „Herr Kaplan, seien Sie doch so gut, und halten in meiner Klasse den Aufklärungsunterricht. Ich hab da echt Schwierigkeiten damit!" Ausg’schamt, wie ich bin, habe ich natürlich seine Bitte erfüllt - und auch jetzt tu ich das, ohne rot zu werden.

Nur - wie erklär’ ich das meinem Kinde? Denn jahrhundertelang hat unsere Mutter Kirche den Leuten einen Floh ins Ohr gesetzt, und den wiederum hat sie vom heiligen Kirchenvater Augustinus übernommen: „Geschlechtsverkehr ohne die Absicht, Kinder zu kriegen, ist Todsünde!"

Wie tief diese Überzeugung gesessen hat, merke ich hin und wieder heute noch - im Beichtstuhl nämlich! Der Satz: „Sechstes Gebot - da bin ich verheiratet!" verrät schon so manches, ohne mich genauer darüber auslassen zu wollen.

Aber Gott sei Dank hat das 2. Vatikanische Konzil da eine Wende gebracht. Es hat nämlich unmißverständlich formuliert, daß die Sexualität zwei Zwecke beinhaltet: 1. natürlich das Kinderkriegen und 2. die Verbundenheit mit dem Partner! Was bedeutet das? Das heißt mit einfachen Worten: selbst wenn wegen des Alters, der Finanzen, bereits vorhandener Kinder weitere Kinder unverantwortlich sind, ist Sexualität immer noch wichtig - und zwar des Partners wegen!

Eigentlich dürfte uns das nicht überraschen. Denn wenn die Liebe wirklich der absolute, allerhöchste Maßstab für unser Handeln sein soll (wie Jesus nicht müde wird zu betonen), dann muß diese Norm auch in der ehelichen Beziehung gelten!

Und so müssen wir heute wohl oder übel den Begriff „Unkeuschheit" neu interpretieren. Unkeuschheit ist nicht die Ausübung der Sexualität ohne die Absicht des Kinderkriegens, sondern die Vergewaltigung eines anderen Menschen - aus Lust oder Leidenschaft, aus Rücksichtslosigkeit und Egoismus also. Der (oder die) andere wird schamlos benutzt, als Objekt betrachtet oder unterdrückt. Unkeuschheit heißt also: einen anderen Menschen auszunützen und seine Würde nicht zu respektieren.

Sie kennen sicher alle die Schriftstelle: „Wer eine Frau (oder einen Mann) auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon die Ehe mit ihr (oder ihm) gebrochen" Mt 5,28.

Wenn wir diese Stelle einmal im Wortsinn übersetzen, dann muß sie heißen: „Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht (wir würden heute sagen: als Objekt betrachtet) hat sie bereits in seinem Herzen beschmutzt, erniedrigt, mißbraucht!" [Gansewinkel SVD] Denn die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Wortes „moicheuein" bedeutet nicht „Ehe brechen", sondern „dreckig machen, beschmutzen, besudeln".

So schaut die Sache schon ganz anders aus. Sexualität ist jetzt nicht mehr eine „Schöpfung des Teufels", sondern eine gottgewollte Triebkraft, die zu jedem Menschen dazugehört und die er akzeptieren kann, sofern er gesund und unverklemmt ist.

Wenn aber diese Sexualität „entgleist", wenn sie rücksichtlos, egoistisch und verantwortungslos ausgelebt wird, dann wird sie sündhaft - eben „unkeusch". Und das kann durchaus auch innerhalb der Ehe vorkommen!

Was heißt also „Unkeuschheit"? Unkeusch ist also jemand, der den natürlichen, gottgewollten Trieb, Nachkommen zu erzeugen und den Partner an ich zu binden - auch das dient dem Wohl der Nachkommenschaft! - in egoistischer, rücksichtsloser Weise mißbraucht.

Und die Sünde? Ich meine, daß das schon deutlich genug geworden ist. Nicht in der Ausübung der Sexualität liegt sie, sondern in der Lieblosigkeit, in der Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen, im verantwortungslosen Egoismus. Zärtlichkeit, Einfühlungsvermögen und Respekt vor dem anderen wäre der sicherste Schutz gegen diese Hauptsünde.

Nun gibt es aber auch andere Triebe, die teilweise sogar noch stärker sind als der Sexualtrieb. Und dazu gehört der „Nahrungstrieb". Und wie jeden Trieb kann man auch den mißbrauchen!

Und schon sind wir bei der Hauptsünde der „Unmäßigkeit im Essen und Trinken".

Den meisten von Ihnen dürfte bekannt sein, was man so von den alten Römern erzählt. Verwöhnt und übersättigt, sollen sie die feinsten Speisen zu sich genommen haben, aber mittels einer Pfauenfeder alles Genossene wieder von sich gegeben haben. Wenn das stimmt, dann kann man das im wahrsten Sinne des Wortes als „pervers", als „verdreht" bezeichnen. Denn der Nahrungstrieb dient ja zur Erhaltung des Lebens - und daß dabei auch noch Lustgefühle eine Rolle spielen, ist zwar wunderschön, aber biologisch nicht entscheidend. Wenn nun diese verwöhnten Römer und Römerinnen allein die Lust gesucht haben, die wertvolle Nahrung aber wieder ausgespuckt haben, dann haben sie sich gegen das Geschenk der Nahrung versündigt.

Auch wir sind meist übersättigt; aber die Sünde der Unmäßigkeit schaut bei uns heutigen Menschen ein wenig anders aus: sie liegt im Mißbrauch des Wörtchens „mehr". Alles können wir übertreiben, nicht nur das Essen oder Trinken: mehr arbeiten, mehr Anerkennung suchen, mehr und schöner wohnen, mehr kaufen, mehr besitzen.

Dabei machen wir einen verhängnisvollen Fehler. Wir glauben nämlich, daß in der Quantität, also in der Menge, das Glück zu finden ist - eben das, was man heute mit „Konsumismus" bezeichnet. Und die Folge? Nur Überdruß, Übelkeit, Übersättigung!

Wer schon erlebt hat, wie gut ein einfaches Stück Brot schmecken kann, wenn man eine längere Zeit Verzicht geübt - also gefastet - hat, der spürt auch instinktiv, daß zum rechten Leben der Rhythmus von Genießen und Fasten, von Triebausübung und Triebverzicht gehört.

„Wenn Fasten, dann Fasten, wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn" soll die kleine Therese gesagt haben - oder wie es im Buch Kohelet heißt: „Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: 2 eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen, 3 eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum Niederreißen und eine Zeit zum Bauen, 4 eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz" Koh 3, 1ff.

Und die Sünde? Abgesehen von dem Schaden, den ein unbeherrschtes Ausleben des Nahrungstriebes am eigenen Körper anrichten kann, führt die Unmäßigkeit auch von Gott weg. Denn statt bei dem hängenzubleiben, das mir Genuß und Lust zu verschaffen scheint, wäre es nötig, dankbar zu dem aufzuschauen, der alles schenkt, Nahrung, Freude und Leben - zu Gott, der die Liebe selbst ist.

Nun bleiben uns nur noch zwei Hauptsünden: der Zorn und die Trägheit.

Irgendwie habe ich den Eindruck, als seien beide miteinander verwandt. Der Zorn hat anscheinend Probleme mit der Aggressionskraft - aber genauso auch die Trägheit, nur in umgekehrter Richtung.

Eins aber möchte ich Ihnen gleich schon sagen: nicht jeder Zorn muß schon Sünde sein! Es gibt auch so etwas wie einen „gerechten Zorn", ein Zorn, der sich gegen Gemeinheit, Ungerechtigkeit und Unrecht wendet. Es ist ein alteingesessenes Mißverständnis zu meinen, Christen müßten unbedingt wie sanfte Lämmer sein.

Auch Christus hat zur rechten Zeit zugeschlagen, mit Worten wie mit Taten.

Erinnern Sie sich an die Stelle, wo Petrus in bester Absicht Jesus davon abhalten wollte, nach Jerusalem - also in den Tod - zu gehen? Jesus faucht ihn bitterböse an: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen." Mt 16,23

Und wie er mit den „Tempelschändern" umgeht, das brauche ich Ihnen wohl auch nicht zu erzählen.

Nein, nicht der Zorn an sich ist von Übel. Zorn ist nur dann sündhaft, wenn er nicht kontrolliert ist! „Selig die Sanftmütigen" meint nicht: „Selig die Duckmäuser" sondern: „Denen geht es gut, die wissen, wann sie ihre Aggression einsetzen müssen und wann nicht!"

Wenn man genau hinschaut, sind Zornige Beinahe-Heilige. Denn sie flippen meist dann aus, wenn etwas nicht „in Ordnung", nicht „heil" ist! Drum spricht man oft auch vom „heiligen Zorn"! Die Zornigen hätten furchtbar gern, daß alles im rechten Rahmen abläuft oder vielleicht sogar perfekt ist. Aber genau das ist unter uns Menschen nicht möglich. Drum ist es gerade für die zornigen Menschen so wichtig, die Realität so zu akzeptieren, wie sie nun mal ist.

Und die Sünde? Die Zornigen vergessen allzu leicht, daß nicht wir Menschen eine heile Welt schaffen können. Sie denken nicht daran, daß nur Gott „richten", also recht machen, in Ordnung bringen, ein „Paradies" schaffen kann, in dem endlich Gerechtigkeit, Friede und Heil verwirklicht ist. Erst wenn die zornigen Menschen das verstanden haben, können sie heitere, vertrauensvolle Gelassenheit lernen, die letztendlich auch ihrer strapazierten Galle von Nutzen ist.

Wenn übrigens meine Schwester recht hat, daß ich schon als Kind zu diesem Sündertyp gehörte, dann weiß ich, was ich in den nächsten Jahren zu üben habe.

Während die Zornigen zuviel Energie und Aggression freisetzen, sind die Trägen von Natur aus bequem und antriebsschwach. Von sich aus würden sie nie die Initiative ergreifen, Aufgaben in Angriff nehmen oder sonstwie aktiv werden.

Stets brauchen sie einen kräftigen Fußtritt (bei Schülern beispielsweise ein Zeugnis, in dem „gefährdet" steht). Diese Hauptsünde ist aber nicht immer die Schuld der Trägen selbst. Wie ich feststellen muß, trägt die moderne Erziehung erheblich dazu bei, solche „Schlaraffentypen" heranzuzüchten. Oder ist es nicht so, daß junge Eltern ihren Kindern alles abnehmen, was die selber leisten könnten? Sogar Konflikte, die die kleinen Tyrannen selbst verursacht haben, werden von Pappi oder Mammi „entschärft", und so kommt es, daß die Kinder immer damit rechnen können, daß andere die Konsequenzen ihrer Untaten auf sich nehmen. „Mach du das" - wird das Motto solch „Verzogener".

Wenn wir schon bei Konflikten sind: auch die Scheu, Konflikte auf sich zu nehmen und durchzustehen, gehört zur Trägheit! Deshalb halte ich auch die Feigheit für eine „Tochter" der Trägheit: „Sag nur ja nichts! Du kriegst ja doch nur Ärger damit!" Klar, daß man Konflikte vermeiden soll, wo es nur immer geht. Aber es gehört nun mal zum Leben, daß manche Konfrontationen unvermeidlich sind. Wenn wir Christen nur endlich verstehen würden, daß nicht schon Streit als solcher sündhaft ist! Wer Spannungen und Schwierigkeiten um jeden Preis vermeiden will, zementiert oft Situationen, aus denen es kaum mehr einen Ausweg gibt.

Aber nicht nur in Konfliktsituationen vermeidet der Träge jeden überflüssigen Energieeinsatz. Wenn das richtig ist, daß es im Leben nur auf zwei Dinge ankommt: nämlich die Liebe Gottes weiterzugeben und seine Lebenslektion zu lernen, dann verpennt der Träge alles, was in Wirklichkeit für ihn wichtig ist. Liebe erfordert nun mal Anstrengung, Einsatz und Energie, und nicht anders steht es mit der Bereitschaft, an sich zu arbeiten und sich schrittweise zum Besseren zu entwickeln.

Woran, glauben Sie, liegt es wohl, daß die unglaublich viele Erwachsene - so firm sie auch in ihrem Beruf sein mögen - bezüglich religiöser Bildung noch immer auf Kindergartenniveau stehen? Und woran liegt es, daß so viele „gute Christen" mit fast schon bewunderswerter Starrheit am Alten, längst Überholten festhalten, obwohl sie Gelegenheit genug hätten, sich eines Besseren zu besinnen! Natürlich an der Trägheit! Selbst das gedankenlose und kritiklose Akzeptieren irgendwelcher Lehren paßt in den Rahmen dieser Sünde. Nur deshalb, weil irgend eine Autorität gesprochen hat, muß es noch lange nicht wahr oder richtig sein. „Sapere aude - trau dich, selber nachzudenken!" ist nicht nur der Leitsatz der Aufklärung; er paßt auch zum Ausspruch Jesu, den er an Natanael richtete: „Komm und überzeug dich selbst!"

Und schließlich bleibt noch die Frage, worin die Sünde der Trägen besteht. Da Sünde Lieblosigkeit ist, dann sündigt der Träge dadurch, daß er auf Kosten der anderen Energien einspart. „Das kann ich nicht!" oder „Mach du das!" - dieser Leitsatz ist oft Ausdruck von purem, rücksichtslosem Egoismus, selbst wenn der Träge aufgrund der Gewohnheit sich dessen schon lange nicht mehr bewußt ist.

Natürlich könnte ich noch lange mit Ihnen plaudern, wie sich die sieben Hauptsünden äußern können und was die Ursache dieser Sünden ist.

Aber im Grunde laufen alle diese „Wurzelsünden" auf eines hinaus: nämlich auf Unsicherheit, mangelndes Selbstwertgefühl und Ichschwäche.

Und deshalb gibt es auch nur ein einziges Heilmittel: Ich muß erkennen und erfahren, daß ich wertvoll, unersetzlich und unendlich geliebt bin - trotz all meiner Fehler und Schwächen.

Wenn ich einmal begriffen habe, daß Gott mich unendlich, unverlierbar und ohne jede Bedingung liebt, dann kann auch ich mich mögen und akzeptieren - trotz meiner Fehler und Schwächen -

- dann muß ich mich nicht mehr aufblähen wie der Stolze;
- dann muß ich nicht mehr auf andere schielen wie der Neidige;
- dann muß ich nicht mehr „zurückhaltend" sein wie der Geizige
- dann muß ich nicht mehr über andere dominieren wie der Unkeusche;
- dann muß ich nicht immer mehr haben wollen wie der Unmäßige;
- dann muß ich nicht mehr aggressiv sein wie der Zornige;
- dann muß ich nicht mehr konfliktscheu oder „energiesparend" sein wie der Träge.

Denn dann darf und kann ich mich akzeptieren, so wie ich bin - aus dem einfachen Grund, weil auch Gott mich so liebt, wie ich bin.

AMEN

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