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3. Fastensonntag 2000

Thema: Weg mit dem Tempelkult!
Lesg./Ev.: Joh 2,13-25
gehalten am 26.03.2000 09:00h ESB
von Eberhard Gottsmann, OStR

Evangelium

Joh 2,13 Das Paschafest der Juden war nahe, und Jesus zog nach Jerusalem hinauf. 14 Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen. 15 Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus, dazu die Schafe und Rinder; das Geld der Wechsler schüttete er aus, und ihre Tische stieß er um. 16 Zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle! 17 Seine Jünger erinnerten sich an das Wort der Schrift: Der Eifer für dein Haus verzehrt mich. 18 Da stellten ihn die Juden zur Rede: Welches Zeichen läßt du uns sehen als Beweis, daß du dies tun darfst? 19 Jesus antwortete ihnen: Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. 20 Da sagten die Juden: Sechsundvierzig Jahre wurde an diesem Tempel gebaut, und du willst ihn in drei Tagen wieder aufrichten? 21 Er aber meinte den Tempel seines Leibes. 22 Als er von den Toten auferstanden war, erinnerten sich seine Jünger, daß er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte.

Predigt

Liebe Christen!

Jesus, der milde, gütige, sanftmütige Liebesprediger - wie paßt da die heutige Evangelienszene dazu? Und hat man uns nicht beigebracht, daß es Sünde ist, Zorn in uns hochkommen zu lassen oder gar aus Wut etwas kaputtzuschlagen?

Vielleicht ist es nötig, unser Jesusbild ein wenig zu korrigieren. Und ebenso notwendig dürfte es sein, die falsche Vorstellung zu überdenken, daß Liebe und Duckmäusertum dasselbe sei.

Das soll aber heute gar nicht unser Thema sein. Mich interessiert diesmal etwas ganz anderes: das Verhältnis Jesu zum religiösen Mittelpunkt des damaligen jüdischen Volkes, dem Tempel!

Damit wir uns ein Bild der Situation machen können, zunächst ein paar Bemerkungen zum Tempelkult.

Für jeden Juden zur Zeit Jesu war der unbestrittene Mittelpunkt der Welt der Tempelberg in Jerusalem. Dort war die irdische Wohnung Gottes, dort war sozusagen seine Herrlichkeit am dichtesten greifbar. Wenigstens dreimal im Jahr zu den Wallfahrtsfesten war es für jeden volljährigen Juden eine selbstverständliche Pflicht, dort zu erscheinen und den Gottesdienst mitzufeiern, wenn es ihm nur irgend möglich war.

Der eigentliche Tempel war relativ klein, aber kostbar ausgestattet. Umgeben war er vom Äußeren Vorhof, der auch von Heiden betreten werden durfte. Hier konnte man Opfertiere kaufen und fremdes Geld in die koshere Tempelwährung umtauschen. Der Innere Vorhof, in dem alle Kulthandlungen vollzogen werden, war durch eine Mauer in einen östlichen Frauenteil und einen westlichen Teil für die Männer abgegrenzt.

Vor dem eigentlichen Tempelgebäude erhob sich der große Brandopferaltar aus unbehauenen Steinen, auf dessen Südseite ein allmählich aufsteigender Aufgang hinaufführte. Dazwischen war das große Waschbecken für die Priester aufgestellt, und nördlich vom Altar breitete sich die Stätte zum Schlachten der Opfertiere aus: Ringe im Fußboden zum Anbinden der Tiere, marmorne Tische zum Hautabziehen und Waschen der Eingeweide, Säulen zum Aufhängen der geschlachteten Tiere.

Täglich waren 300 Priester und 400 Leviten (so etwas wie Mesner, Chorregenten, Pförtner und Putzfrauen in einem) beschäftigt, die heiligen Handlungen zu vollziehen:

Jeden Morgen und jeden Nachmittag wurde das Tamid, ein Brandopfer dargebracht. Dazu wird einem einjährigen, fehlerfreien männlichem Lamm die Kehle durchgeschnitten, das Blut wird aufgefangen und an die vier „Hörner", also Eckzacken des Altars gegossen, dann wird das Tier vorschriftsmäßig zerlegt und die gesalzenen Einzelteile auf die Altarrampe verteilt. Gleichzeitig werden das tägliche Speiseopfer und das des Hohenpriesters - bestehend aus einer Mehl-Ölmischung - auf den Altar gestellt, sowie der Wein zum Trankopfer.

Nun nehmen die Priester glühende Kohlen vom Brandopferaltar, gehen damit ins Innere des Tempelgebäudes und legen die Kohlen auf dem Räucheraltar nieder. Sie drücken Räucherwerk, bestehend aus Harzen und Gewürzen, in die Glut und kommen wieder zu den Leuten heraus.

Nach dem Priestersegen, den die Priester mit erhobenen Händen sprechen, werden die einzelnen Opferstücke mit Schwung in das Feuer geworfen, auch ein Teil des Speiseopfers und das ganze hohepriesterliche Speiseopfer. Beim Ausgießen des Trankopfers an die Westseite des Altars beginnen auf Trompetenstöße hin die Leviten mit Musik und Psalmengesang, wobei sich die Leute bei jeder Pause zur Anbetung auf den Boden werfen. Trompetensignale beenden die Feier.

Ich habe jetzt nur eines der verschiedenen Opfer, nämlich das Morgenopfer geschildert, aber so etwa dürfen Sie sich den Ablauf der Tempelgottesdienste vorstellen.

Recht appetitlich ging die Tempelschlächterei also nicht zu, und der Gestank der Opfertiere und des Blutes mußte mit Weihrauchduft zugedeckt werden.

An Pessach, dem jüdischen Osterfest, ist es besonders gräßlich zugegangen. Wenn Sie sich vorstellen, daß da jede größere Familie ein Lamm zum Schlachten in den Tempel brachte, dann kommen Sie mit Leichtigkeit auf mehrere zehntausend Tiere. Der Tempel war dann mehr ein Schlachthaus als eine Gebetsstätte - die Priester wateten dann bis zu den Knöcheln im Blut!

Auf diesem Hintergrund können wir jetzt besser verstehen, was im heutigen Evangelium geschildert wird. Jesus „stinken" im wahrsten Sinne des Wortes diese Schlächtereien, der typisch orientalische laute Bazar-Betrieb im Vorhof der Heiden - und am meisten die veräußerlichte, auf materielle Leistungen pochende Einstellung der Priester und der Leute.

Solch ein Tempelbetrieb führt nicht zu Gott hin, er führt eher von ihm weg! Schon 700 Jahre vorher hatte der Prophet Amos geschrien: „Ich hasse, ich verschmähe eure Feste und mag eure Feiern nicht riechen! Denn wenn ihr mir Brandopfer darbringt, so habe ich keinen Gefallen an euren Gaben ... statt dessen ströme wie Wasser das Recht und die Gerechtigkeit wie ein unversieglicher Bach!" Oder wie es im Psalm 50 heißt: „Soll ich das Fleisch von Stieren essen und das Blut von Böcken trinken? Bringe Gott dein LOB zum Opfer dar!"

Also weg mit diesem Tempel! Mit einer Zeichenhandlung erklärt er diesen Opferkult als beseitigt. Denn wenn Jesus die Käufer und Verkäufer von Tieren hinauswirft und die Tische der Geldwechsler umstößt, also alles, was zum Opferbetrieb nötig war, dann macht er damit den ganzen traditionellen Opferkult unmöglich, dann erklärt er diesen als passé.

Liebe Christen!

Der Tempel ist seit dem Jahr 70 nach Christus völlig zerstört; was kümmert uns denn diese Geschichte heute noch?

Aber glauben Sie wirklich, es hätte sich seit damals viel geändert? Gewiß - wir schlachten im Kirchengebäude keine Tiere mehr, und eine Verkaufshalle ist unsere Laurentiuskirche auch nicht. Aber neigen wir nicht alle dazu - genau wie die Leute vor zweitausend Jahren - rein äußerliche Riten zu absolvieren, sozusagen den Gottesdienst „abzuleisten"? Rasseln wir nicht die Gebete herunter, ohne eigentlich zu wissen, was wir da beten? Und noch schlimmer: endet nicht unser Gottesdienst gleich hinter der Kirchentür, wenn wir wieder in den Alltag zurückkehren?

Seit Jesus wissen wir, daß Gott nicht an einen bestimmten Ort gebunden ist - gleichgültig, ob es sich dabei um einen Tempel oder um eine Kirche handelt. Erinnern Sie sich, was er zur Samariterin am Brunnen sagte? „Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. ... Die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden."

Der wahre Gottesdienst besteht darin, die Liebe - also Gott selbst - anzunehmen und an die anderen weiterzugeben. „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer"! zitiert Jesus.

Damit werden unsere „Gotteshäuser" nicht überflüssig - sie sind wichtige Versammlungsorte, in denen Gemeinschaft erlebt wird und in denen wir im Symbol des Brotes uns immer neu der Verbindung mit Christus bewußt werden. Zugleich sind sie auch Symbole dafür, daß Gott selbst unser „Haus" ist, in dem wir „wohnen" und uns geborgen fühlen können.

Aber der wichtigste „Tempel" der Gottesbegegnung ist der Mensch selbst. Nicht äußerliche liturgische Riten - und seien sie noch so feierlich -, nicht heruntergeleierte Gebete - und seien sie noch so zahlreich - sind der wahre Gottesdienst. Jede echte Hingabe an die Menschen - bewußt oder unbewußt - ist auch Hingabe an Gott. So ist jede Minute, die wir einem anderen schenken, Gottesdienst, jedes gute Wort und jede hilfreiche Tat.

Sieht man die Sache so, dann kann man auch die Reaktion Jesu verstehen. Denn er will uns klarmachen: Gott ist kein Handelspartner - seine Liebe ist nicht käuflich; er braucht auch keine Opfer, und schon gar nicht blutige; er braucht auch keine Gebetsmühlen, denn seine Liebe braucht man nicht herbeizuzwingen. Was Gott will, sind Menschen, die bereit sind, zu „Tempel des heiligen - des heilenden - Gottesgeistes" zu werden.

AMEN

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