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2. Sonntag nach Weihnachten 2000

Thema: Im Anfang war der Sinn
Lesg. / Ev.: Joh 1,1-5.9-14
gehalten am 02.01.2000 09:00h ESB
von Eberhard Gottsmann, OStR

Evangelium Joh 1,1-5.9-14

Joh 1,1 Im Anfang war der Logos, und der Logos war bei Gott, und der Logos war Gott. 2 Im Anfang war es bei Gott. 3 Alles ist durch den Logos geworden, und ohne den Logos wurde nichts, was geworden ist. 4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. 5 Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfaßt.
9 Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. 10 Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. 11 Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. 12 Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. 14 Und der Logos ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.

Predigt

Liebe Christen!

„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde" - so beginnt das Erste Testament, auch Altes Testament genannt.

Und „Im Anfang war der Logos - so beginnt das Johannesevangelium, von dem wir heute die Ouvertüre gehört haben, also die Vorwegnahme aller Leitmotive, die dann im folgenden ausgeführt werden.

Die Ähnlichkeit beider Anfänge springt geradezu ins Auge, und sicher hat der Autor des Johannesevangeliums in voller Absicht auf die Schöpfungsgeschichte angespielt.

Nun haben sich ganze Gelehrtengenerationen an der Deutung dieser geheimnisvollen Worte versucht - mit unterschiedlichen Ergebnissen. Ich habe nicht vor, mich in dieser Predigt darüber auszulassen. Es würde nur eine Vorlesung über die jüdische Dabar-Spekulation und deren griechische Fortführung, der Logos-Philosophie daraus werden, für unser praktisches Leben aber käme dabei nicht allzuviel heraus.

Deshalb greife ich eine Deutung heraus, die unserem heutigen Denken sicher am nächsten kommt, und die uns vielleicht auch im Alltag von Nutzen sein kann.

Zunächst aber noch die Klärung eines Mißverständnisses: wir Europäer denken bei dem Satz „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde" automatisch an den Anfang der Zeit. Also: ganz zu Beginn, als es noch gar nichts gab, veranlaßte Gott in seiner unendlichen Macht, daß auf einmal die Schöpfung da war.

Das steckt in unseren Köpfen einfach so drin, und wir kommen meist gar nicht auf die Idee, daß der altorientalische Autor etwas ganz anderes meint. „Im Anfang" meint in Wirklichkeit: „die tiefste Ursache, der eigentliche Urgrund"!

Orientalen machten das gerne: wenn sie etwas Allgemeingültiges sagen wollten, verlegten sie es kurzerhand in die Vergangenheit. Berühmtestes Beispiel ist die Erzählung von Adam und Eva. Auch diese Geschichte meint nicht irgendwelche Urmenschen am Beginn der menschlichen Evolution, sondern die Menschheit insgesamt, auch die heute lebende. „Adam wurde versucht" hieße dann also: „Alle Menschen, auch wir heute, sind nun mal versuchlich - es gehört zum Menschsein dazu, in Versuchung geraten zu können."

Genauso ist es mit dem ersten Satz der Genesis. Der Urgrund der Schöpfung, die tiefste Ursache ist Gott, immer schon und auch noch heute.

Nun zurück zu unserem Johannesevangelium! Auch hier bedeutet „im Anfang": „der tiefste Grund, die innerste Ursache" - heute wie damals!

Was aber ist nach dem Autor der tiefste Urgrund, das, was hinter allem steckt? Es ist der Logos, der mit Gott gleichgesetzt wird.

Leider kann man diesen Begriff im Deutschen nur mit vielen Worten wiedergeben, ähnlich wie das hebräische shalom, das eben nicht nur Friede bedeutet, sondern auch „Gutgehen", „Freude", „Harmonie" etc. etc.

Die Einheitsübersetzung wählt nur eine der vielen Bedeutungen aus, nämlich „Wort", und die ist meiner Meinung nach am schwierigsten zu verstehen. Wie gesagt: es würde eine ganze Vorlesung über jüdische Wort-Gottes-Spekulationen daraus, und das möchten wir heute wirklich vermeiden.

Viel einfacher zu verstehen ist eine andere Bedeutung von „logos": nämlich das Wort „Sinn".

„Im Anfang war der Sinn, und der Sinn war bei Gott, und der Sinn war Gott"!

Gott - der Sinn, der hinter allem liegt! Oder umgekehrt: Hinter allem, was es gibt, hinter dem Guten wie dem Bösen, hinter der Existenz der Natur und hinter der Existenz des Menschen steckt Sinn - und dieser tiefste Sinn ist Gott selbst!

Wer nicht dumpf in den Tag hineinlebt oder gewohnt ist, nach dem zweiten Satz einer Predigt einzuschlafen, müßte jetzt interessiert aufhorchen. Zu den brennendsten Fragen der Menschen (wenigstens der offenen und geistig aufgeschlossenen) gehört die Frage nach dem Sinn des Lebens. Es gehört zum Beglückendsten, wenn jemand sagen kann: „Mein Leben hat einen Sinn!"

Und der schrecklichste, hoffnungsloseste aller Ausrufe ist der: „Es ist doch alles sinnlos!"

Ein sinnlos empfundenes Leben ist nichts mehr wert; im Grunde bleibt nur noch, es wegzuwerfen.

Auch der Psychoanalytiker Viktor Frankl ist der Überzeugung, daß das Hauptleiden unserer modernen Zeit der „Sinnverlust" ist, der die Menschen zu Depression bis hin zum Selbstmord treibt.

Selbst Menschen, die es gar nicht bewußt wahrnehmen, suchen im Grunde dauernd nach dem Sinn. Es muß eine angeborene Ahnung sein, daß es diesen Sinn geben muß.

Manche glauben ihn gefunden zu haben: im Konsum zum Beispiel. „Immer, wenn ich mich innerlich so hohl und leer fühle, dann gehe ich zum Shoppen. Für einen Moment empfinde ich dann Befriedigung, bis das Gefühl wieder abgeflaut ist. Und dann geht's wieder von vorn los." so sagt eine Frau, die immer wieder vom Kaufzwang eingeholt wird.

„Für mich ist einfach der Spaß der Lebenssinn!" sagt ein Jugendlicher. „Ich nehme mit, was ich erwischen kann: Spaß mit Freunden in der Disko, Lust beim Sex mit meiner Freundin, der ultimative Kick bei Risikosportarten."

Aber irgendwann erweist sich dieser „Sinn" aber als „Un-Sinn", als Sackgasse; immer wieder zeigt sich, daß das nicht der wahre Sinn sein kann, nach dem wir im Grunde suchen, und der allein wirkliche, dauerhafte Erfüllung und Befriedigung wäre.

Eins ist sicher: wenn es einen Sinn im Leben gibt, dann kann ich ihn nicht selber machen. Sollte ich das glauben, dann täuschte ich mich, und Ent-Täuschungen sind die unausbleibliche Folge.

Wenn es aber einen Sinn im Leben gibt, dann muß er schon vorhanden sein, und ich muß ihn suchen, muß ihn entdecken können.

Der Autor des Johannesevangeliums glaubt diesen Sinn erfahren zu haben, und zwar in der Person Jesu, der uns diesen Sinn deutlich gemacht hat.

Nach Jesus ist ja tiefste Sinn der Schöpfung, der eigentliche Sinn auch meines Lebens, allein Gott, also die ewige Liebe, das ewige Glück, das ewige Leben. „Sinn-voll" ist alles, was mit Gott „erfüllt" ist, wo „Gott drin ist", wie Elmar Gruber es ausdrückt, und „sinn-los" alles, wo er nicht erfahren werden kann, obwohl er in Wirklichkeit ja immer anwesend ist.

Das ist ja die Frohe Botschaft: auch wenn uns manches sinnlos erscheint - Leiden, Tod, bestimmte Lebenssituationen - ich darf das Vertrauen haben, daß im Grunde trotzdem alles sinnvoll und bedeutungsvoll ist. Denn nicht vergängliche Lust, nicht vergängliche Ehrungen, nicht vergänglicher Besitz sind Sinn meines Lebens, sondern die unverlierbare, ewige Liebe Gottes, die „im Anfang", also im Urgrund der Schöpfung wirksam ist und bleibt.

AMEN

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