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2. Ostersonntag 2000

Thema: Die Wunden des Auferstandenen
Lesg./Ev.: Joh 20,19-31
gehalten am 30.04.00 09:00h ESB
von Eberhard Gottsmann, OStR

Evangelium nach Johannes

20,19 Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, daß sie den Herrn sahen. 21 Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! 23 Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert. 24 Thomas, genannt Didymus (Zwilling), einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht. 26 Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder versammelt, und Thomas war dabei. Die Türen waren verschlossen. Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! 27 Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger aus - hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.

30 Noch viele andere Zeichen, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan. 31 Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.

Predigt

Liebe Christen!

Je nach Mentalität des Predigers wird der Apostel Thomas mal als „ungläubig", mal als „kritisch" bezeichnet. Diese Theologen beurteilen den „Unglauben" natürlich negativ - und das Wort Jesu „Selig, die nicht sehen und doch glauben" wird von ihnen als scharfer Tadel aufgefaßt.

Geistliche, die ihn als frühen Vertreter eines selbständig denkenden, aufgeklärten modernen Menschen sehen, sprechen ihm eher Hochachtung und Anerkennung aus. Das selbe Wort Jesu klingt dann viel sanfter, verständnisvoller, wenngleich die Aufforderung zu mehr Vertrauen auch hier in Richtung Tadel geht. Sicher kann man beide Standpunkte gelten lassen - vorausgesetzt, hinter dem einen steckt nicht die weitverbreitete Einstellung, die Gläubigen besser dumm zu halten und ohne eigenes Denken einfach glauben zu lassen - und vorausgesetzt, hinter der anderen steckt nicht die Überzeugung, daß allein der Verstand geeignet ist, die ganze Wirklichkeit zu erfassen.

Heute aber interessiert mich mal weniger der Glaube oder Unglaube des Thomas, sondern ein Detail, das meist als Nebensache übergangen wird. Ich meine den Hinweis, daß Jesus auch als Auferstandener seine Wunden behalten hat.

Wenn ich mir vorstelle, wie ein Auferstandener aussehen müßte, dann sicher strahlend, durchgeistigt - und vor allem makellos unversehrt. Verletzungen oder körperliche Versehrtheit hätte in meinen Vorstellungen keinen Platz - das ist meinem Gefühl nach eine Sache der Vergangenheit, des irdischen Lebens, die bei der Umwandlung durch die Auferweckung abgestreift werden müßte.

Aber das ist nicht der Fall, wie aus der Textstelle hervorgeht - wie so oft ist die religiöse Wirklichkeit ganz anders als alle menschliche Berechnung. Eigentlich könnte man diesen Hinweis als bedeutungslos übergehen, aber wenn man ihn konsequent weiterdenkt, dann kommt man zu einer überraschenden Erkenntnis.

Gehen wir mal davon aus, daß niemals etwas je verloren gegen kann, was wir in unserem Leben wirklich geliebt haben, und wenn es ein Meerschweinchen ist, über dessen Tod ein Kind untröstlich ist. Diese Schlußfolgerung ergibt sich daraus, daß auch Gott uns und das, was wir lieben, niemals hergeben würde, weil er die absolute Liebe ist. So hat er ja auch Jesus, der in einer einzigartigen Weise mit Gott in Liebe verbunden war, nicht losgelassen, nicht dem Tod überlassen.

Wir können aber noch weitergehen: es sieht nämlich ganz so aus, als würde Gott auch nichts anderes einfach ausradieren, was in irgendeiner Weise durch menschliche Freiheit erzeugt wurde, nichts Gutes, aber auch nichts Böses. Die Wunden am Auferstehungsleib zeigen das deutlich: sogar die Ergebnisse menschlicher Brutalität und Lieblosigkeit tilgt Gott nicht einfach. Können wir weiterfolgern, daß Gott auch alles andere, was wir in unserem Leben getan oder hervorgerufen haben, bestehen läßt?

Wenn man die Sache so sieht, dann versteht man das Wort von der „Vergeltung Gottes" in ganz neuem Licht. Vergeltung heißt für uns normalerweise: Gott zahlt alles mit gleicher Münze zurück - oder weniger vornehm ausgedrückt: Gott rächt alles, was wir Menschen Böses getan haben. Wie kann das aber sein, wenn Gott reine Liebe ist, wenn er gar nicht anders als Lieben kann? Dann widerspricht doch Rache, Böses mit Böses zu vergelten völlig seinem Wesen! Vergeltung auf dem Hintergrund der Liebe Gottes bedeutet dann etwas völlig anderes: Gott läßt alles gelten, was wir Menschen in Freiheit getan haben. Genauso, wie ein wirklich Liebender den geliebten Menschen nicht zwingt, nicht seiner Freiheit beraubt, genauso macht ein Liebender auch nichts ungeschehen, was die Freiheit des anderen geschaffen hat, und sei es noch so dumm und verkehrt.

Das also besagt „Vergeltung Gottes": er nimmt uns und unsere Freiheit so ernst, daß er alles gelten läßt, was wir je in unserem Leben getan haben; daß er nichts auslöscht, nicht die Dummheiten und Verbrechen, aber auch all das Gute nicht.

Ein Gedanke, der uns erschaudern lassen kann! Was ich tue, Richtiges und Falsches, Gutes und Böses, gilt ein für allemal, es ist sozusagen verewigt. Und es nützt gar nichts, wenn ich bedaure, was geschehen ist oder es gerne ungeschehen machen wollte - so ernst nimmt Gott mein Tun!

Vielleicht kommen Sie, liebe Christen, auf andere Schlußfolgerungen, wenn Sie über die Wunden des Auferstandenen nachdenken - mir jedenfalls erscheinen diese Gedanken recht zwingend.

Wenn das alles aber so sein sollte, wie ich eben dargelegt habe, wie ist das dann aber mit der Vergebung Gottes? Dann wäre ja meine Reue und mein Bedauern über den Unsinn und über die Untaten, die ich begangen habe, sinnlos!

Ich bin überzeugt, daß das nicht so ist. Aus der Liebe Gottes ergibt sich nämlich auch noch etwas anderes. Er läßt nicht nur meine freien Taten gelten - auch wenn sie schlecht sind und seine Gedanken durchkreuzen - er führt sie auch zu einem guten Ende. „Gott schreibt gerade auch auf krummen Zeilen" - unzählige Geschichten vor allem aus dem Alten Testament und aus unserem eigenen Leben zeigen das. Die überlegene Macht Gottes hat immer Möglichkeiten, auch Sünde und Schuld in etwas Positives zu verwandeln, wie z.B. der Verrat des Judas, aber auch die eigene Lebenserfahrung zeigen.

Mit anderen Worten: all die Wunden, die wir Menschen uns beibringen, all die Katastrophen, Kriege, Terror und Gewalt, Krankheiten und Tod, all die Wunden unserer irdischen Existenz, Wunden am Leib Christi, werden auch bei der Auferweckung oder der Neuschöpfung der Welt nicht einfach abgeschüttelt und ausradiert. Aber der verletzte und doch lebendige Christus sagt mir: all das kann mich nicht trennen von der Liebe Gottes. Sie ist mächtig genug, all dieses Vergängliche und Schmerzliche in ein neues Leben zu verwandeln, in dem auch die vergangenen Wunden nicht mehr schmerzen, so daß ich mit Paulus sagen kann: „Ich bin überzeugt, daß die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll." Röm 8, 18.

AMEN

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