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16. Jahressonntag 2000

Thema: Schlechte Hirten
Lesg./Ev.: Jer 23,1-6; Mk 6,30-34
für das Internet erstellt am 22.07.2000
von Eberhard Gottsmann, OStR

Lesung

23:1 Weh den Hirten, die die Schafe meiner Weide zugrunde richten und zerstreuen - Spruch des Herrn. 2 Darum - so spricht der Herr, der Gott Israels, über die Hirten, die mein Volk weiden: Ihr habt meine Schafe zerstreut und versprengt und habt euch nicht um sie gekümmert. Jetzt ziehe ich euch zur Rechenschaft wegen eurer bösen Taten - Spruch des Herrn. 3 Ich selbst aber sammle den Rest meiner Schafe aus allen Ländern, wohin ich sie versprengt habe. Ich bringe sie zurück auf ihre Weide; sie sollen fruchtbar sein und sich vermehren. 4 Ich werde für sie Hirten bestellen, die sie weiden, und sie werden sich nicht mehr fürchten und ängstigen und nicht mehr verlorengehen - Spruch des Herrn. 5 Seht, es kommen Tage - Spruch des Herrn -, da werde ich für David einen gerechten Sproß erwecken. Er wird als König herrschen und weise handeln, für Recht und Gerechtigkeit wird er sorgen im Land. 6 In seinen Tagen wird Juda gerettet werden, Israel kann in Sicherheit wohnen. Man wird ihm den Namen geben: Der Herr ist unsere Gerechtigkeit.

Evangelium

6,30 Die Apostel versammelten sich wieder bei Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. 31 Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus. Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen. 32 Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. 33 Aber man sah sie abfahren, und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an. 34 Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange.

Predigt

Liebe Christen!

Sie kennen sicher eine Menge Abbildungen ägyptischer Pharaonen. Quizfrage: Was sind das für Gegenstände, die so ein Pharao in der Hand hält? - Richtig geraten: es sind Geißel und Szepter. Und was bedeuten diese Attribute? - Ebenfalls richtig geraten: es sind Symbole seiner Macht; der Macht zu bestrafen und der Macht, über Feinde zu siegen (wozu man eine Geißel gebraucht, ist ja klar, und ein Szepter könnte man sich durchaus als ... Streitkolben vorstellen).

In Wirklichkeit aber kommen beide Insignien aus einer viel friedlicheren Sphäre: die „Geißel" ist nämlich ursprünglich nichts anderes als ein Fliegenwedel, den die Viehhirten bei sich führten, und das Szepter ein krummer Hirtenstab. Der Pharao war also ursprünglich der Hirte seines Volkes, jemand, der sich verantwortlich weiß für die Sorgen und Nöte der Menschen, der Schutz und Hilfe gewährt.

Und was ist daraus geworden? Ein als Gott verehrter, eigenmächtiger Tyrann, der das Volk zu seiner eigenen Ehre und für seine eigene Tasche arbeiten läßt, der sie versklavt, um sich monumentale Grabdenkmäler bauen zu lassen.

Das Bild vom Hirten und seiner Herde ist im Alten Orient sehr verbreitet. Auch in der Bibel wird es oft gebraucht; ich habe fast 90 Stellen gezählt, in denen das Wort Hirte vorkommt.

Weil uns Heutigen aber der ganze Kulturkreis der Nomaden fremd ist (Hirten sind ja eine Seltenheit geworden!), haben sich auch die Vorstellungen, die damit verbunden sind, völlig verändert. Wenn wir heute von Herde sprechen, von Herdenmenschen oder vom Herdentrieb, dann denken wir automatisch an eine einheitliche, beliebig manipulier- und steuerbare Menge, die kein Hirn hat und daher anfällig für alle möglichen Ideologien und Demagogien ist.

Im alten Orient dagegen war die Herde oft der ganze Reichtum eines Mannes. Seine Herde von einem Hirten weiden zu lassen, hieß daher, sein ganzes Vermögen in die Hände eines anderen zu geben.

In der deutschen Literatur galt der Hirt über Jahrhunderte hinweg als ungebildet-naiver „Naturbursche", der teils verspottet wurde, teils in romantisch-idealisierender Weise verherrlicht wurde. Der Hirt: ein naives, verspieltes Kind; das Schaf: ein willenloses, geistig beschränktes Wesen.

Im alten Orient dagegen war der Hirtenberuf ursprünglich sehr geachtet, denn er war mit großer Verantwortung verbunden. Es galt, die Herde gegen wilde Tiere und Räuber zu verteidigen - oft unter dem Einsatz des eigenen Lebens. Dazu konnte man keine Kinder brauchen, sondern nur gestandene, mutige und zuverlässige Männer. Daß diese Hochachtung zur Zeit Jesu sich ins Gegenteil verkehrt hatte und Hirten fast zu Outcasts wurden, steht auf einem anderen Blatt.

Zurück zum ägyptischen Pharao: wir sagten, daß sich im Lauf der Zeit die Vorstellung von seinen Aufgaben und Funktionen gewaltig geändert hatte: er wurde vom verantwortlichen Hirten seines Volkes zum machtsüchtigen, egoistischen Tyrannen.

Der Prophet Jeremia muß die gleiche negative Entwicklung bei den israelitischen Königen feststellen: sie sind schlechte Hirten geworden, die sich nicht um ihre Schafe kümmern, ja sogar ihre Herde zugrunde richten und zerstreuen.

Und wie sieht es bei den Hirten von heute aus, den Politikern, den „Hirten" ihres Volkes, und bei der Geistlichkeit, deren einige sich sogar „Oberhirten" nennen lassen?

Was manche Politiker betrifft, können die harten Worte des Jeremia durchaus auch auf sie angewandt werden. Sie fordern Sparmaßnahmen, kürzen Sozialleistungen, streichen Stellen und Gehälter - der Schafe, wohlgemerkt. Zur gleichen Zeit erhöhen sie ihre Diäten, führen für sich Sonderleistungen ein und leiten milliardenteure Baumaßnahmen ein, über deren Nutzen für die „Herde" man durchaus streiten kann - alles für die „Hirten", wohlgemerkt. Leere Versprechungen dienen allein der eigenen Karriere und dem Wahlerfolg; Falschaussagen, Korruption und Vetternwirtschaft, Veruntreuung von öffentlichen Geldern sind an der Tagesordnung - das Hemd scheint den meisten von ihnen näher zu sein als die Jacke.

Und was manche geistlichen „Oberhirten" betrifft, kann man sich oft des Eindrucks nicht erwehren, daß nicht das Wohl der „Schafe", sondern die eigene Macht im Vordergrund steht. Gesetze stehen häufig über dem Menschen, das Pochen auf Lehrsätze steht oft über der Vermittlung der Frohbotschaft, und selbst das Gewissensurteil der „Schafe" - seit alters her als höchste moralische Instanz betrachtet - wird als „irrig" abgeurteilt, wenn es sich nicht mit offiziellen Verlautbarungen deckt. Von den Sozialleistungen und Lohnbedingungen gegenüber kirchlichen Laienangestellten möchte ich schon gar nicht reden, auch nicht, wie menschenverachtend oft mit Mitbrüdern umgegangen wird.

Mit einem Wort: seit den Zeiten Jeremias hat sich nicht viel geändert.

Schafe brauchen aber Hirten, gute Hirten. Ohne einen Hirten, der sich um sie kümmert, der ihnen den Weg zu den Wasser- und Futterplätzen weist und sie vor Gefahren behütet, gehen die Tiere unweigerlich zugrunde. Schafe, als Nutztiere seit Tausenden von Jahren an den Menschen gewöhnt, können nicht mehr alleine, ohne die Hilfe des Menschen überleben. Auch wir Menschen, so sagt Jesus im heutigen Evangelium, brauchen Hirten, gute Hirten. Aber auch er muß mitleidsvoll feststellen: solche Hirten gibt es nicht. „Denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben".

Man könnte fast verzweifeln, wenn es nicht eine wirkliche Hoffnung gäbe. Es gibt nämlich einen, sagt Jeremia, dem seine Herde nicht gleichgültig ist, und auch das nicht, was die Hirten mit ihrer Herde treiben. Gott selbst ist der „wahre Hirte", der sich um seine Herde kümmert und der die „schlechten Hirten" zur Verantwortung zieht, zur Verantwortung hin-zieht sozusagen, wenn sie nicht von sich aus verantwortlich sein wollen. „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen" heißt es im wundervollen Psalm 23.

Liebe Christen!

Ich glaube fest daran, daß Gott dazu in der Lage und willens ist, und das läßt mich meine oftmalige Wut und meinen ohnmächtigen Zorn über die „schlechten Hirten" besser verarbeiten. Gott ist nicht „pflegeleicht", kein „gutmütiger alter Mann", auch wenn er die Liebe selbst ist. Aber im Gegensatz zu manchen Stellen des Alten Testaments bin ich nicht der Meinung, daß Gott strafen muß - jedes egoistische, verantwortungslose, lieblose (also gottlose) Verhalten straft sich letztlich selber.

Und noch einen Trost habe ich: immer wieder können wir echte, „gute Hirten" finden, denen wir vertrauen können und die uns wirklich mögen: Menschen, die uns auf Gefahren aufmerksam machen; die uns helfen, wenn wir sie brauchen; die uns stützen und begleiten, wenn wir auf dem Tiefpunkt sind; auf die wir uns wirklich verlassen können.

Warum suchen wir sie in höheren Positionen, wo sie selten zu finden sind? Unser alltägliches Leben ist reich an solchen „wahren Hirten", wir müssen nur danach Ausschau halten!

AMEN

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