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Pfingstsonntag 2000

Thema: Der Geist der Liebe und Vergebung
Lesg./Ev.: Apg 2,1-11; Joh 20,19-23
gehalten am 11.06.2000 10:30h ESB
von Eberhard Gottsmann, OStR

Lesung aus der Apostelgeschichte (Apg 2,1-11)

2:1 Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. 2 Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. 3 Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. 4 Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. 5 In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. 7 Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? 8 Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: 9 Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien, 10 von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, 11 Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.

Evangelium nach Johannes (Joh 20,19-23)

20:19 Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, daß sie den Herrn sahen. 21 Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! 23 Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.

Predigt

Liebe Christen!

Professor Kirchhoff, mein sehr geschätzter Mitbruder und Fachmann für kirchliches Brauchtum, hat schon recht: zum Pfingstfest gibt es fast kein Brauchtum, jedenfalls keines, das direkt mit der christlichen Bedeutung dieses hohen Festes in Zusammenhang steht. Er sagt in seinem Buch 'Christliches Brauchtum': „Das Volk hat offenbar die Theologie des Heiligen Geistes nie tiefer begriffen (oder diese hat nie das Herz des Volkes erreicht)."

Das einzige, was in diesem Zusammenhang erwähnenswert ist, ist das Herablassen einer hölzernen Taube vom „Heiliggeistloch" an der Decke des Kirchengewölbes - obwohl in der Pfingstgeschichte überhaupt keine Rede von einer Taube ist - oder das Pfingstfeuer, das aber nur ganz sporadisch zum Festbrauch wurde.

Dazu kommt noch eine Schwierigkeit, die allerdings nur aufmerksame Bibelleser bemerken: während nach der Apostelgeschichte, die wir vorhin gehört haben, der Geist Gottes 40 Tage nach Ostern auf die Jünger herabkam, redet Johannes im heutigen Evangelium eindeutig davon, daß bereits am Abend des Ostertages Jesus seinen Freunden mit dem Heiligen Geist beschenkte. Wer hat nun recht: Lukas oder Johannes?

Wenn man dann noch die Wortakrobatik der späteren Dogmen hinzunimmt, nach denen beispielsweise „der Heilige Geist aus dem Vater und dem Sohn als einem einzigen Prinzip durch eine einzige Hauchung hervorgeht", kann man gut verstehen, daß Pfingsten für die meisten Nichttheologen blaß und farblos geblieben ist. Da wirkt eine von der Kirchendecke herabgelassene Holztaube mit Heiligenschein wie eine krampfhafte Notlösung, wenigstens ein wenig die Sinne der Gläubigen anzusprechen - aber ein Symbol kann nur soviel bewirken, als es auf seelische Resonanz stößt; und das ist, wie gesagt, anscheinend kaum der Fall.

Moderne, linkshirn-orientierte Menschen brauchen da sicher andere Zugänge und Vorstellungshilfen, als es die antiken Deutungsgeschichten sein können. Denn auch Glaube muß verständlich sein, um im konkreten Leben eine Rolle spielen zu können.

Für mich ist der Ausgangspunkt all dieser Feste der Osterzeit die begeisternde Erfahrung der ersten Jünger: der gekreuzigte, tote Jesus (Karfreitag) lebt trotzdem! (Ostern) Er ist nicht wie ein Reanimierter in unser raum-zeitliches Leben zurückgekehrt, sondern er ist in der Welt Gottes („Himmelfahrt"), und er ist uns näher als je zuvor, wir können ihn in unserem Inneren und in unserer Gemeinschaft erfahren (Pfingsten).

Diese österlichen Feste sind wie die verschiedenen Farben eines Brillanten, die jeweils aufblitzen, wenn ich ihn von der einen oder anderen Perspektive her betrachte.

Das alles wäre nun gar nicht so wichtig für mich, wenn es sich nur auf den einen Menschen Jesus bezöge. Aber da wir davon ausgehen dürfen, daß er ein Modell, eine „Vorschau" auch für unseren Tod, unsere Auferweckung und „Himmelfahrt" ist, weckt es in uns das Gefühl der Befreiung von Angst, von Erlösung und Freude - vielleicht sogar - wenn die Überzeugung tief genug geht - auch Begeisterung.

Diese Be-Geisterung aber kann keiner selbst erzeugen, nach dem Motto: „Nun will ich aber mal darüber begeistert sein, daß ich wie Jesus auferweckt werde!" Diese Begeisterung wird wie ein Geschenk erfahren, und sie ist auch ein Geschenk Gottes. Aber wie bei jedem Geschenk muß der Empfänger offen und bereit dafür sein; aufgedrängte Geschenke sind peinlich und machen keine Freude, und abgelehnte Geschenke gehen ins Leere.

Wenn Begeisterung aber ein göttliches Geschenk ist, dann muß sie mit Liebe zu tun haben, da Gott ja die absolute Liebe ist. Und das ist wichtig, um „die Geister unterscheiden zu können"; denn begeistert kann man ja auch von etwas Gemeinem, Bösartigen sein.

Dieser Geist der Liebe, der Jesus in so einzigartiger Weise erfüllt hat, muß auch positive Auswirkungen haben! Mit einem uralten Wort: er muß heil machen, er muß heil-ig sein.

Davon spricht der zweite Teil des heutigen Evangeliums; er bietet uns einen hervorragenden Test, durch den wir unterscheiden können, „wes Geistes Kind" jemand ist.

Jesus tritt in die Mitte der Jünger und begrüßt sie mit „Shalom" - „Heil, ganz, gut beisammen sollt ihr sein!" Und als sinnenhaftes, spürbares Symbol dafür haucht er sie an.

„Handelt aus dem Geist Gottes, dem Geist der Liebe heraus - macht andere Menschen heil! Laßt es ihnen gut gehen, ermöglicht ihnen Leben, Glück, Freude!

Eines der größten Hindernisse für diese innere Harmonie, für dieses Heil ist aber die Schuld, das schlechte Gewissen. Darum denkt daran: verzeiht einander, erlaßt ihnen die Schuld - dann sind sie befreit, dann können sie aufatmen. Denkt aber auch daran: wenn ihr das nicht tut, wenn ihr den anderen die Sünden nicht erlaßt, dann tragen sie diese Last weiter mit sich herum, dann können sie in diesem Leben nicht heil und ganz werden!"

Liebe Christen!

Wieviel Leid, wieviel seelischer Druck und wieviel Depressionen hätten vermieden werden können, hätten Jesu Nachfolger aller Jahrhunderte nach diesem Geist gelebt. Aber im Gegenteil: Gerade dieses Wort Jesu wurde oft und oft verwendet, um persönliche oder politische Macht auszuüben, indem man die „Lossprechung" von Sünden verweigerte, indem man die Exkommunikation über unbotmäßige Fürsten oder unbequeme Andersdenkende aussprach - so berief man sich auf Jesus, obwohl man gerade das Gegenteil von dem getan hat, was sein Herzenswunsch war.

Diese Worte des Auferstandenen sind aber auch ein Testfall für unser alltägliches Verhalten: statt einander immer und immer wieder die Vergebung Gottes zuzusagen, behält der andere durch unsere mangelnde Vergebungsbereitschaft seine drückenden Schuldgefühle, anstatt durch uns die allvergebende, heilende Liebe Gottes zu erfahren.

AMEN

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