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4. Sonntag der Osterzeit 1999

Thema: Hirten in Palästina
Lesg./Ev.: Joh 10,1-10
am 25.04.99 7:30 in Eschenbach
von Eberhard Gottsmann, OStR

Lesung / Evangelium:

Joh 10,1-10 (Übersetzung von Fridolin Stier

Wahr, ja wahr ists, ich sage euch: Wer nicht durchs Tor in die Hürde der Schafe hereinkommt - sondern sonstwoher darübersteigt - der ist ein Dieb und Räuber. Wer durchs Tor hereinkommt, der ist Hirt der Schafe. -Dem öffnet der Torwächter. Und die Schafe hören auf seine Stimme. Und er ruft seine Schafe Namen um Namen, und führt sie hinaus. Wenn er die Seinen alle hinausgetrieben, geht er vor ihnen her. Und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber werden sie nimmermehr folgen, sondern sie fliehen vor ihm, da sie des Fremden Stimme nicht kennen.
Diese Hüllrede sprach Jesus zu ihnen. Sie aber erkannten nicht, was es war, das er ihnen sagen wollte.
Jesus sprach nun abermals zu ihnen: Wahr, ja wahr ists, ich sage euch: Ich bin das Tor zu den Schafen. Alle, die vor mir gekommen, sind Diebe und Räuber. Aber die Schafe hörten nicht auf sie. Ich bin das Tor! Geht einer durch mich hinein, so wird er gerettet. Und er geht ein und aus und findet Weide. Der Dieb kommt zu nichts als zum Stehlen, zum Schlachten und Zugrunderichten. Ich bin gekommen, daß sie Leben haben - ja es haben überreich.

Predigt

Liebe Zuhörer!

Die Schäferin Jennifer Rees schreibt in einer Englischen Zeitschrift:

Ähnliche Illusionen wie die Mode-Designer machen auch wir uns über den Beruf des Hirten, und erst recht über den der palästinensischen Hirten.

Allein schon die geographischen Verhältnisse Judäas sind ja ganz anders als die unseren: ein 55 km langes und etwa 30km breites Hochland, das größtenteils unfruchtbar und steinig ist. Der Graswuchs ist spärlich, und daher müssen die Schafe oft weite Strecken zurücklegen. Auf einer Seite fällt die Hochfläche steil und schroff zur Wüste hin ab: eine ständige Gefahr für die Tiere, die keine Minute ohne Aufsicht bleiben dürfen.

Nachts heulen Hyänen, und zur Zeit Jesu gab es auch noch Wölfe und andere Raubtiere - mitunter auch menschliches Raubgesindel.

Kein Wunder, daß die Hirten bewaffnet sind; eine Steinschleuder, mit der sie unglaublich treffsicher umgehen können; ein Knüppel, der oft mit Nägeln beschlagen ist und am Gürtel hin- und herbaumelt. Der Hirtenstab dagegen dient weniger als Waffe, denn als Hilfsmittel, um die Schafe zusammenzuhalten und abends besser auf Verletzungen kontrollieren zu können, indem er den Zugang zum Pferch nur für einzelnen Tiere passierbar macht.

Zur weiteren Ausrüstung gehört auch ein Lederbeutel, in dem Brot, Trockenobst, ein paar Oliven und Käse aufbewahrt werden, und häufig eine burnusartige Kopfbedeckung, die vor der Sonne oder vor Staubstürmen schützt.

Die Schäfer Palästinas behalten ihre Herden häufig jahrelang und kennen die Eigenarten ihrer Tiere ganz genau. Häufig spiegeln sie sich im Namen der Tiere: Schwarzohr oder Braunfleck und so fort.

Auch die Schafe kennen ihren Herrn - wie Jesus treffend bemerkt - vor allem an seiner Stimme. Orientalische Schäfer haben eine ganz eigenartige "Schaf- und Ziegen-Redeweise" entwickelt, die Tierlauten sehr ähnelt. Von Reisenden wurde berichtet, daß die Herde oft mit ohrenbetäubendem Blöken dem Hirten antwortet.

Wenn aber eine fremde Stimme ertönt, bleiben die Tiere stehen, heben beunruhigt ihre Köpfe und machen - wenn der Ruf ein zweites Mal erklingt - fast panisch kehrt und fliehen.

Eine weitere Eigenheit der Hirten Judäas spricht Jesus im heutigen Gleichnis an: diese Schäfer gehen nämlich vor der Herde her, um sicher zu sein, daß der Weg keine Gefahren birgt. Wenn sich die Herde beispielsweise weigert, eine Flußfurt zu überqueren, nimmt der Hirt einfach ein Jungschaf auf die Schultern und geht voraus; wenn dann einmal das Mutterschaf gefolgt ist, kommt auch die übrige Herde nach.

Was geschieht aber mit den Tieren, wenn es auf den Abend zugeht? Im heutigen Gleichnis ist von zwei verschiedenen Schafhürden die Rede, die es damals gegeben hat:

In den Dörfern waren überdachte, durch eine starke Tür gesicherte Schafställe die Regel. Den Schlüssel verwaltete ein Türwächter, damit Unbefugte keinen Zutritt erhielten. Blieben die Tiere in der heißen Jahreszeit auch nachts draußen, wurden sie abends in improvisierte Hürden getrieben: Steinwälle, Dornengestrüpp oder natürliche Erhebungen umgaben den Pferch, der nur einen Zugang hatte. Dort legte sich der Hirte hin, damit kein Schaf hinauskonnte oder zumindest nur über seinen Körper hinweg.

Das alles hat Jesus im Hinterkopf - und natürlich auch seine Zuhörer. Prinzipiell konnten also die Zeitgenossen verstehen, was Jesus damit meinte; umso mehr muß es uns der Satz verwundern: "Sie aber erkannten nicht, was es war, das er ihnen sagen wollte."

Ich versuche, in ein paar Sätzen deutlich zu machen, wie ich dieses Gleichnis verstehe!

Jesus allein ist es, der uns die Geborgenheit und Sicherheit in Gott - Symbol dafür: der Pferch - vermittelt. Er allein ist es auch, der uns den Weg in die Freiheit und zu einem erfüllten Leben - Symbol dafür: die Weide - zeigen kann. Wer nicht mehr "aus- noch ein weiß", findet durch ihn Orientierung - Symbol dafür: die Tür zum Schafpferch; er ist auch Garant dafür, daß man nicht "verlorengeht" oder "abstürzt" - Symbol dafür: das stets wache Auge des Hirten.

Immer wieder versprechen "falsche Hirten", Heil und erfülltes Leben zu bringen, beispielsweise durch blutige Aufstände (wie zur Zeit Jesu die Zeloten), indem sie bestimmte Gesetze oder Riten oder Leistungen vorschreiben. In Wirklichkeit aber sind das nur "Räuber", die nicht Leben und Glück schenken, sondern im Gegenteil mindern oder gar zerstören, selbst wenn sie sich "Oberhirten" oder "Pastoren" nennen.

Ein "vernünftiges, mündiges Schaf" kann da schon unterscheiden, ob etwas "die Stimme Jesu" erkennen läßt, also seinen Geist, seine Gesinnung widerspiegelt - und dieser Geist ist stets "heilig", also heilmachend! - , oder ob "eine fremde Stimme" nur weiter von Gott, und damit vom Leben, vom Glück, vom Heil wegführt, in die Unfreiheit, die Angst, die Unsicherheit - selbst wenn diese Stimme im eigenen Pferch ertönt.

AMEN

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