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32. Jahressonntag

Thema: Der Zug ist abgefahren
Lesg./Ev.: Mt 25,1-13
gehalten am 07.11.1999 10:30h ESB
von Eberhard Gottsmann, OStR

Evangelium

25:1 Dann wird es mit dem Himmelreich sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. 2 Fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug. 3 Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, 4 die klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit. 5 Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein. 6 Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen! 7 Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. 8 Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus. 9 Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht. 10 Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal, und die Tür wurde zugeschlossen. 11 Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! 12 Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. 13 Seid also wachsam! Denn ihr wißt weder den Tag noch die Stunde.

Predigt

Liebe Christen!

Wahrscheinlich bin ich doch etwas zu spät losgefahren. Ich hatte mir ausgerechnet: Nach Weiden - ca. 25 Minuten Fahrtzeit, dann Parkplatz suchen, zum Bahnsteig 2 gehen - also reicht eine Dreiviertelstunde leicht, um den Zug nach Regensburg zu erreichen. Aber die Rechnung geht nicht auf: lebhafter Verkehr, ein paarmal Rot an der Ampel, lange keinen Parkplatz gefunden - und nun stehe ich am Bahnsteig, und schaue den Schlußlichtern des Interregio nach. Zu spät! Der Zug ist abgefahren. Ein saudummes Gefühl. Hätte ich doch, wäre ich doch ...

Ein ähnliches Gefühl kommt in uns hoch, wenn wir das heutige Gleichnis, das Gleichnis vom „abgefahrenen Zug" hören.

Aber das ist merkwürdig: derselbe Jesus, der von unbegrenztem Gottvertrauen spricht, der nicht müde wird, von der stets verzeihenden Liebe Gottes zu predigen, derselbe Jesus sagt heute: es gibt ein „Zu-Spät"!

Sollte ich ihn bisher falsch verstanden haben, ich mit meiner optimistischen Überzeugung von der unverlierbaren, stets verzeihenden Liebe Gottes?

Es kann nicht sein, daß Jesus plötzlich anders redet als sonst. Also muß es wohl an mir liegen, daß ich Angst bekomme, wenn ich das Gleichnis höre. Vielleicht deshalb, weil ich die verschlossene Tür mit dem Tod, mit dem letzten Gericht in Verbindung bringe?

Könnte es vielleicht sein, daß Jesus das gar nicht gemeint hat - sondern etwas ganz anderes?

Schauen wir uns die einzelnen Schlüsselbegriffe einmal näher an:

Hochzeit, Bräutigam - das sind Bilder, die auch sonst in der Bibel verwendet werden, und zwar als Bild für die Verbindung Gottes mit den Menschen. Und Jungfrau? Garantiert keine biologische Aussage, sondern ebenfalls ein Bild - nämlich für die Sehnsucht, die Offenheit auf Gott hin.

Nun schaut die Sache schon ganz anders aus! Gott tritt in Erscheinung in Augenblicken, die wir nicht vorausberechnen, und erst recht nicht planen können. Immer kommt er anders, immer kommt er an anderen „Stellen", als wir es vermuten, immer kommt er zu anderer Zeit, als wir erbitten oder erwarten.

Jemand will dringend mit mir reden - nein, momentan paßt es nicht, damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Vielleicht ein anderes Mal! - Unwiderruflich vorbei!

Mein Sohn zeigt mir stolz eine Zeichnung - „ach, laß das jetzt, mein Kopf steht mir nach ganz anderem!" - Unwiderruflich vorbei!

Meine Frau schaut mich erwartungsvoll an: heute ist ihr das Sonntagsessen besonders gut gelungen! Ich ignoriere ihren Blick - unwiderruflich vorbei!

Meine Tochter will mir glücklich von ihrem neuen Freund erzählen: „Heb dir das bis nach dem Fußballspiel im Fernsehen auf!" - unwiderruflich vorbei!

Darum heißt „kluge Jungfrau" sein: immer bereit, immer wach, immer weckbar zu sein. Denn der Augenblick seines Kommens ist schnell vorbei, unwiederholbar - und etwas nach-holen, wie die fünf törichten Jungfrauen das Öl, geht nicht - der Zug ist abgefahren, für immer.

Dieser eine verpaßte Augenblick ist für immer dahin, die Tür ist zu, das Schloß ist verriegelt und läßt sich nicht mehr öffnen.

Was ich eben gesagt habe, gilt aber nicht nur für verpaßte Gelegenheiten im sozialen und mitmenschlichen Bereich. Es hat genauso Gültigkeit bezüglich der Möglichkeiten, die das Leben mir selbst schenken will. Ein Spaziergang an einem strahlenden Herbsttag - ein interessanter Vortrag - ein Konzert oder eine Theateraufführung - ein nettes Gespräch mit Freunden - lauter Gelegenheiten, mein Leben zu bereichern und meine ausgetrocknete und im Alltagstrott gefangene Seele aufleben zu lassen. Aber leider: keine Zeit! Keine Energie! Keine Lust!

„Seid wachsam!" mahnt Jesus. Verschlaft nicht solche Chancen, die euch das Leben immer wieder schenkt. Hinterherjammern, wie es die törichten Jungfrauen getan haben, nützt überhaupt nichts - die Vergangenheit ist „verschüttete Milch"; einmalige Ereignisse sind nicht wiederholbar. Der Zug ist abgefahren, die Tür ist ins Schloß gefallen. Sündigt nicht darauf, daß Gott ja immer wieder neue Augenblicke eröffnet und neue Chancen gibt. Wir müssen gar nicht auf den Himmel im Jenseits warten. Hier und jetzt schon können wir Augenblicke des Himmels, Erfahrungen der Liebe Gottes also, erleben - wenn wir sie nicht verschlafen!

AMEN

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