Zurück zur Homepage

Zurück zur Predigtsammlung

2. Ostersonntag

Thema: Der sympathische Thomas
Lesg./Ev.: Joh 20,19-31
gehalten am 11.04.1999 um 9:00 Uhr in Eschenbach
von Eberhard Gottsmann, OStR

Lesung / Evangelium:

19 Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, daß sie den Herrn sahen. 21 Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! 23 Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert. 24 Thomas, genannt Didymus (Zwilling), einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht. 26 Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder versammelt, und Thomas war dabei. Die Türen waren verschlossen. Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! 27 Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger aus - hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. 30 Noch viele andere Zeichen, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan. 31 Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.

Predigt:

Liebe Christen!

Im Priesterseminar lernte ich einen kleinen, schmächtigen Mönch kennen, vor dem ich zunächst fürchterlichen Respekt hatte. Ein Ausbund von Willensstärke und Selbstzucht! Wenn es zu fasten galt, dann fastete er hundertprozentig - nicht einmal einen Schluck Wasser trank er dann; und wenn wir uns in der Hauskapelle zum Gebet trafen, dann war er so intensiv bei der Sache, daß ihn nicht einmal ein Erdbeben gestört hätte. Einmal schleppte er sich sogar zur Choral-Übungsstunde, obwohl er fast 40° Fieber hatte!

Allmählich wandelte sich aber meine Bewunderung in Angst. Ich erkannte nämlich zusehens, daß diesem Mönch eine bestimmte Eigenschaft abging: er kannte keinerlei Glaubenszweifel! Während sich unsere Kurskollegen - ich eingeschlossen - über Dogmen der Kirche die Köpfe heiß diskutierten, saß dieser perfekte Mönch still dabei und sagte nur, wenn er um seine Meinung gefragt wurde: „Es ist so!"

Erst heute weiß ich, was mich damals an diesem Idealkatholiken so abstieß. Ich bin überzeugt: Wenn ein Mensch keine Zweifel kennt, dann stimmt mit ihm etwas nicht.

Menschen sind immer begrenzt; sie sind immer nur auf dem Weg - und keiner kann die volle Wahrheit erfassen, weder Laien noch Theologen. Wir alle sind auf der Suche - wer aber glaubt, die ganze Wahrheit zu besitzen, steht im berechtigten Verdacht, ein Ideologe oder gar ein Größenwahnsinniger zu sein.

Kennen Sie die Geschichte, die Gautama Siddharta, genannt „Buddha", erzählte? Ein Gruppe von Blinden umstand einmal einen Elefanten. Sie diskutierten darüber, was so ein Elefant denn eigentlich sei. Der eine, der den Schwanz betastete, sagte: „Ein Elefant, das ist ein großer Pinsel!" Ein anderer, der den Rüssel befühlte, meinte: „Ein Elefant, das ist ein langer, biegsamer Schlauch!" Jetzt wurde der dritte aber böse: „Ein Elefant, das ist eine lange, harte Stange" - er hatte einen Stoßzahn in die Hand bekommen. Und so ging es weiter: der eine hielt den Elefanten für eine dicke Säule (er hatte ein Bein vor sich), der andere für eine faltige Fläche (das war der Bauch), und wieder ein anderer ... na, sie können sich die Szene ja selbst ausmalen. Das Schlimme an der Geschichte ist aber, daß sich die Blinden immer mehr in die Haare gerieten, weil jeder behauptete, sein Eindruck, seine spezielle Sinneserfahrung sei schon der ganze Elefant; und wenn sie noch leben, prügeln sie sich heute noch.

Ein gutes Bild für unsere menschliche Dummheit. Immer wieder hat es Menschen gegeben, die sich allein im Besitz der vollen Wahrheit wähnten, ja, die sich sogar auf Gott selbst beriefen! - und unzählige Ausgrenzungen, Verteufelungen und sogar Kriege waren und sind die Folge.

Manchmal hat aber das Fehlen von Zweifel einen ganz anderen Grund. Dumme und oberflächliche Menschen, die alles für bare Münze nehmen oder denen alles gleichgültig ist, werden kaum je von Zweifel geplagt. Solche Menschen sind viel häufiger als die gerade erwähnten Fanatiker. Ich zähle die zahlreichen „Christen" dazu, die sich nur wegen der äußeren Form kirchlich trauen lassen, „weils halt in der Kirche viel feierlicher ist!"; die ihre Kinder nur deshalb taufen lassen, damit sie einmal in der Schule keine Außenseiter sind oder damit sie nicht auf so schöne Feste wie Erstkommunion oder Firmung verzichten müssen.

Wenn es um meinen Lebenssinn oder meine Zukunft geht, kann ich doch nicht fraglos übernehmen, was irgend eine Autorität oder „die Leute" mir vorsagen. Dann muß ich vom „Gehorsamsglauben" zum „Verstehensglauben" und vom „Leistungsglauben" zum „Verantwortungsglauben" kommen, wie es der große Theologe Eugen Biser ausdrückt. Erst ein Glaube, den ich mir erarbeitet habe - und das ist oft mühsam und frustrierend! - ist wirklich mein Besitz, der mir in Krisenzeiten Halt gibt und der weder durch angsterzeugende Höllenprediger, noch durch die oberflächliche Meinung „der Leute" ins Wanken gebracht wird.

Mir ist schon klar, daß gewisse Kreise der Kurie mit dem Gesagten ganz und gar nicht einverstanden wären. Wie heißt es im berüchtigten „Glaubensbekenntnis", das ein hoher „Glaubensbeamter" dem indischen Theologen Balasurya zur Unterschrift vorlegte? „Außerdem nehme ich mit religiöser Unterwerfung des Willens und des Intellekts sowohl alle Lehren, die der Papst, als auch alle Lehren, die das Bischofskollegium verkündet, an, wenn sie ihr ordentliches Lehramt ausüben und auch wenn sie diese Lehren in einer nicht endgültigen Art und Weise vortragen". Was das bedeutet, muß man sich einmal klar machen: wer Katholik sein will, müßte seinen Verstand und seinen freien Willen abgeben! Nebenbei erwähnt: Balasurya weigerte sich, das zu unterschreiben und bekam nach langem Ärger mit der Glaubenskongregation schließlich doch recht.

Aber bedenken Sie bitte: wenn Jesus von „Glauben" spricht, dann meint er niemals ein „Fürwahrhalten von Lehrsätzen oder Dogmen". „Glaube" heißt bei ihm stets: Vertrauen! Und das ergibt sich logisch aus seiner Lehre: wenn nämlich Gott der unendlich, unverlierbar und bedingungslos liebende Vater ist, dann ist das unbedingte Vertrauen auch die einzig angemessene Antwort von uns Menschen.

So betrachtet, ist Thomas ganz und gar nicht das Musterbeispiel eines „bösen Ungläubigen". Er ist vielmehr das Musterbeispiel eines selbständig denkenden, mutigen und mündigen Menschen, der nicht jeder „hysterischen Privatoffenbarung" auf den Leim geht, der nicht einfach „Glaubenssätze" nachbetet, der nicht einfach aus falschem Respekt vor Autoritäten Denken und Wollen ausschaltet. Jesus rügt ihn deshalb nicht; im Gegenteil: er bietet ihm als einzigem an, sich durch Berühren zu überzeugen. Als er aber dann überzeugt war, hielt er diese Überzeugung auch durch, selbst unter Einsatz seines Lebens! Die Legende von seinem Martertod in Indien soll genau das zum Ausdruck bringen.

Der Glaube, also das unbedingte Vertrauen in die Liebe Gottes, die auch den Tod überwindet, ist und bleibt stets ein Risiko. Der Ausspruch Jesu „Selig, die nicht sehen und doch glauben" ermuntert uns dazu, und nicht zu einem naiven, blinden Glaubensgehorsam.

AMEN

Zurück zur Predigtsammlung

Zurück zur Homepage