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19. Jahressonntag

Thema: Freischwimmer oder Boot?
Lesg./Ev.: Mt 14,22-33
geschrieben am 04.08.1999
von E. Gottsmann, OStR

 

Evangelium

2 Gleich darauf forderte er die Jünger auf, ins Boot zu steigen und an das andere Ufer vorauszufahren. Inzwischen wollte er die Leute nach Hause schicken. 23 Nachdem er sie weggeschickt hatte, stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten. Spät am Abend war er immer noch allein auf dem Berg.
24 Das Boot aber war schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind.
25 In der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen; er ging auf dem See. 26 Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst. 27 Doch Jesus begann mit ihnen zu reden und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht! 28 Darauf erwiderte ihm Petrus: Herr, wenn du es bist, so befiehl, daß ich auf dem Wasser zu dir komme. 29 Jesus sagte: Komm!
Da stieg Petrus aus dem Boot und ging über das Wasser auf Jesus zu. 30 Als er aber sah, wie heftig der Wind war, bekam er Angst und begann unterzugehen. Er schrie: Herr, rette mich! 31 Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? 32 Und als sie ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind.
33 Die Jünger im Boot aber fielen vor Jesus nieder und sagten: Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn.

Predigt

Liebe Christen!

An der Westfassade des Regensburger Doms, direkt unter dem riesigen Kreuz, kann man mit guten Augen oder durch ein Fernglas ein interessantes Relief bewundern: in einem Schiff (das vergleichsweise viel zu klein geraten ist) sitzt der heilige Petrus, kenntlich an seinen beiden gekreuzten Schlüsseln. „Das Schifflein von St. Peter" soll natürlich ein Symbol für die Kirche sein, der Petrus sozusagen als Steuermann vorsteht.

Vermutlich hatten die Künstler des Mittelalters die heutige Evangelienstelle im Visier. Petrus und die übrigen Jünger befinden sich in einem Boot, weit vom Ufer entfernt, ein Sturm macht das Vorwärtskommen schwer. Obwohl Petrus und manch anderer Jünger den Beruf eines Fischers ausgeübt hat - ein Seefahrervolk waren die Juden nie. Die Angst vor dem Wasser steckt ihnen in den Knochen, und sie droht leicht zur Panik zu werden, wenn das „Galiläische Meer" - wie so oft - stürmisch und unruhig wird.

Zurück zum Bild „Kirche als Schifflein Petri"!

Man kann heutzutage durchaus von einem „schweren Seegang" für die Kirche sprechen: religiöse Traditionen haben immer mehr an Bedeutung verloren; Beichte und Meßbesuch sind merklich zurückgegangen; der Einfluß seitens der Kirchenleitungen ist spürbar geschwunden; kirchliche Moralvorschriften werden eher belächelt, und die innere Distanz zur Institution wird mit immer mehr Kirchenaustritten besiegelt.

Kein Wunder, daß da so mancher Petrus panisch reagiert. Bisher hat das Schiff „Institution" so sicher getragen; man konnte sich fest darauf verlassen, mit diesem „Instrument" ans andere, sichere Ufer zu kommen. Aber jetzt scheinen sich immer weniger in diesem Gefährt heimisch und geborgen zu fühlen - könnte es vielleicht sein, daß so mancher Passagier Lecks und morsche Spanten entdeckt hat? Oder könnte es sein, daß auch „Landratten" schwerwiegende Navigationsfehler bei der Besatzung ausfindig gemacht haben?

Noch weitere Schreckensmeldungen erreichen die Kommandobrücke: die niederen Chargen diskutieren darüber, ob das uralte, für Offiziere gültige Seemannsgesetz, unbeweibt zur See zu stechen, nicht aufgehoben werden soll! Mehr noch: nun machen sogar Frauen Anstalten, die Kommandobrücke zu erklimmen! So etwas muß ja im Chaos enden!

Das Erschreckendste für Kapitän und Offiziere ist: immer mehr Insassen springen aus dem Boot, glauben gar, daß sie irgend ein fremdes Floß - oder gar das Wasser direkt trägt! Es sind aber nicht nur Ratten, die das Schiff verlassen, nicht nur „Ungläubige" oder „Ketzer"!

Da gibt es nur eines: die Bordgesetze müssen verschärft werden.

Erstens muß die Irrmeinung, die sich inzwischen eingeschlichen hat, bekämpft werden, man käme auch auf andere Weise zum rettenden Ufer als nur mit dem eigenen Schiff. Zweitens werden- auch gegen den Willen der Passagiere - Offiziere eingesetzt, die in aller Strenge auf geraden Kurs achten, Stewards müssen auf eine neue, noch detailliertere Schiffsordnung eingeschworen werden. Drittens wird ein Handbuch verteilt, das genau regelt, wie Taue geknüpft, Segel gerefft und der Kompaß bedient werden; aber auch, wie man in den Kojen oder auf dem Sonnendeck zu liegen hat; welche Kleidung, ja Unterwäsche man tragen muß, und wie das Essen eingenommen wird.

Vielleicht wäre auch sinnvoll, wieder die alte Seemanns-Sprache einzuführen, denn nur sie schafft Einheit und Zugehörigkeitsgefühl. Auf jeden Fall muß der Anker geworfen werden - wer weiß, wohin das Schiff sonst treibt!

Bevor diese Predigt allzusehr zur Satire gerät, wieder zurück zum Evangelientext.

Petrus, der erste Kapitän, reagiert völlig anders, als die Kapitäne der heutigen Zeit. Er hat ja erkannt, daß es Jesus ist, der da dem Schiff nahe ist - und so springt er begeistert auf und über Bord. Und siehe da: das Wasser, Symbol für das unermeßliche Leben, trägt ihn!

Im Vertrauen auf Jesus, der ihm selbst Vertrauen vorlebt, wagt er das Unmögliche. Und dasselbe Wasser, das ja schon das Schiff trägt, trägt nun auch den Petrus!

Als er aber nicht mehr auf Jesus schaut, sondern auf den hohen Seegang, überfallen ihn Zweifel und Ängste. Beides - also das Gegenteil von Vertrauen - zieht ihm sozusagen den Boden unter den Füßen weg, er beginnt zu schwimmen - und zu sinken.

Gleichgültig, ob diese Geschichte eine nachösterliche „Be-deutungs-Geschichte" ist oder ein Realsymbol, sie ist ungeheuer lehrreich für uns alle, die wir „im gleichen Boot sitzen".

Vertrauen in Gott allein trägt - Zweifel und Angst muß zum „Untergang" führen! Unbedingtes, blindes Gottvertrauen - nicht das Für-Wahr-Halten von Glaubenssätzen - ist Kennzeichen eines echten Jesusjüngers!

Was mich aber am meisten an dieser Schriftstelle verblüfft: Petrus rudert nicht prustend und um sich schlagend zum Schiff „Kirche" zurück, sondern er greift nach der Hand Jesu, der ihm auch sofort wieder Rettung und Halt gibt. Könnte es nicht sein, daß gar manche Menschen, die „über Bord gegangen sind", „ins Wasser gestoßen" wurden oder selbst gesprungen sind, ihren Halt in der Liebe Gottes gefunden haben - auch ohne das Schiff?

Und noch eine bedenkenswerte Bemerkung liefert unser Text: „Und als sie ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind". Allein mit Jesus im Boot, mit seinem Geist und mit seiner Lehre kann Ruhe einkehren; selbst wenn er zu schlafen scheint, wie in einer anderen Geschichte anklingt, gibt er Sicherheit und Halt.

Diese Evangelienstelle sollte man all den „kleingläubigen Schiffsoffizieren" zur täglichen Pflichtlektüre machen.

Vielleicht würde dann wieder mehr Gelassenheit auf der Kommandobrücke einkehren, weniger Dirigismus und Zentralismus, dafür mehr Gott- und Menschenvertrauen?

Jesus macht ja vor, wie man ganz von Gott getragen sein kann - in ruhigen und in stürmischen Zeiten, in oder außerhalb des Institutionsbootes.

AMEN

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