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4. Adventssonntag

Thema: Siehe, die junge Frau wird empfangen

Lesg./Ev.: Jes 7,10-14; Mt 1,18-24

gehalten am 20. 12. 1998 10:30h ESB von Eberhard Gottsmann. OStR

Lesung:

Jes 7,10 Der Herr sprach noch einmal zu Ahas; er sagte: 11 Erbitte dir vom Herrn, deinem Gott, ein Zeichen, sei es von unten, aus der Unterwelt, oder von oben, aus der Höhe. 12 Ahas antwortete: Ich will um nichts bitten und den Herrn nicht auf die Probe stellen. 13 Da sagte Jesaja: Hört her, ihr vom Haus David! Genügt es euch nicht, Menschen zu belästigen? Müßt ihr auch noch meinen Gott belästigen? 14 Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.

Evangelium:

Mt 1,18 Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, daß sie ein Kind erwartete - durch das Wirken des Heiligen Geistes. 19 Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloß, sich in aller Stille von ihr zu trennen. 20 Während er noch darüber nachdachte, erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. 21 Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen. 22 Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: 23 Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns. 24 Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.

Predigt:

Liebe Christen!

Könige längst vergangener Zeiten, von denen wir noch nicht einmal die Namen gehört haben, interessieren uns heute kaum mehr, außer wenn wir zufällig Historiker sind. Aber trotzdem - manchmal kann es manchmal recht spannend sein, die Zeithintergründe zu kennen, die den alttestamentlichen Lesungen zugrunde liegen - und vor allem: ohne diese Hintergründe kann man auch das Neue Testament nicht richtig verstehen. Schauen wir uns mal die Geschichte näher an:

Sicher wissen Sie, daß man in Israel schon lange vor Christus auf einen Retter gewartet hat, der einmal aus dem Hause Davids kommen werde. Solche Nachfolger gab es viele - einige davon waren Könige, die wie alle anderen Mächtigen herrschten: sie machen Politik, schließen Verträge und brechen sie wieder. Im Großen und Ganzen waren es keine bedeutenden Männer. Sie wären längst vergessen, wenn sie nicht Gegenspieler gehabt hätten, die bis in die heutige Zeit ihre Bedeutung nicht verloren haben. Diese Gegenspieler sind die Propheten, die im Auftrag Gottes Opposition und Korrektoren zugleich waren, in unserem Fall ist es der Prophet Jesaja.

Zu seiner Zeit herrschte König Ahas, ein Nachkomme des berühmten David. Und der steht vor einer schweren Entscheidung. Was ist passiert?

Der Assyrerkönig Tiglatpilesar III. - natürlich ein Diktator aus dem Nordirak - ist drauf und dran, den gesamten Vorderen Orient zu erobern, und zwar nicht gerade mit zimperlichen Methoden. Die Könige vom Nordreich und von Damaskus verbünden sich, um den Assyrern Widerstand zu leisten. Bei diesem Bündnis fehlt nur noch der König des Südreichs, Ahas.

Aber Ahas macht nicht mit, aus welchen Gründen auch immer, wahrscheinlich aus Angst, daß die Assyrer auf jeden Fall gewinnen, und dann werden die mit den Bündnispartnern kurzen Prozeß machen. Das aber ärgert die Verbündeten; und so ziehen die beiden vor die Mauern Jerusalems, um Ahas abzusetzen und einen anderen König an seine Stelle zu setzen, der bei ihrer Allianz mitmacht.

Was soll Ahas nun tun? Mit Recht hat er Angst, daß er mitsamt seiner Familie umgebracht werden soll. Und damit wäre die Davidsdynastie ein für allemal aus dem Geschichtsbuch gestrichen. So sucht er den Propheten Jesaja auf. Der aber rät ihm, auf politische Tricks zu verzichten und im Vertrauen auszuhalten, da Gott schon so oft in der Geschichte Israels geholfen- hat und auch jetzt helfen wird.

Ahas aber ist nicht gläubig genug: Er traut dem Versprechen nicht, das der Prophet Natan vor langer Zeit dem David gegeben hat, er nimmt den Propheten nicht ernst und sucht Hilfe, wo auch wir vermutlich Unterstützung suchen würden: nämlich bei den Mächtigen und Starken: und das ist für Ahas ausgerechnet der Assyrerkönig!

Da bietet Gott durch Jesaja ein Zeichen an, das sein Vertrauen bestärken könnte:

„Seht, die junge Frau wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel - d.h. "Gott-ist-mit-uns" geben."

Wer ist diese junge Frau (im hebräischen Urtext heißt es nämlich 'almah', junge Frau, und nicht 'betulah', Jungfrau, wie Mattäus diese Stelle später interpretiert)?

Zunächst ist natürlich die junge Königin gemeint, die dann auch tatsächlich einen Sohn zur Welt bringt. Wieder folgt Ahas dem Propheten nicht. Er nennt ihn nicht Immanuel, wie der Prophet gewünscht hatte, sondern Hiskija, d.h. "Gott-ist-meine-Stärke". Und das ist schon eine ausgewachsene Heuchelei, wenn man bedenkt, daß Ahas ja gerade nicht bei Gott Zuflucht gesucht hatte, sondern beim Assyrerkönig!

König Ahas bekommt prompt die Quittung: Tiglatpilesar freut sich über diesen Dummkopf - denn so billig hätte er das Südreich sonst nie bekommen! Auch mit den beiden Bündnispartnern wurde er spielend fertig - seiner „Weltherrschaft" stand nun nicht mehr viel im Wege.

Für uns aber ist etwas anders wichtig: die Prophezeiung des Jesaja weist nämlich weit in die Zukunft, über die Regierungszeit des Ahas hinaus. Das wird durch eine weitere Weissagung deutlich:

„Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; Über denen, die im Land der Finsternis wohnen, leuchtet ein Licht auf ... Denn uns wurde ein Kind geboren, ein Sohn wurde uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter, und man nennt ihn 'WUNDERBARER RATGEBER', 'STARKER GOTT', 'VATER IN EWIGKEIT' und 'FRIEDENSFÜRST'. ... Auf dem Thron Davids herrscht er über sein Reich; er festigt und stützt durch Recht und Gerechtigkeit, jetzt und für alle Zeiten." Vom Sohn des Ahas kann hier kaum mehr die Rede sein - die Kamera schwenkt sozusagen weit in die Zukunft.

Ein Volk ist im Dunkeln - ein Bild für die politische Auswegslosigkeit, die Übermacht der Feinde, Not - Finsternis liegt über dem Land. Aber ein Licht - kein selbsterkämpftes, selbstverdientes, sondern eines, das von Gott kommt - gibt neue Hoffnung. Friede ohne Ende - und Garant dafür ist ein noch ungeborenes Kind, ein Kind in unbekannter Zukunft.

Nicht der Zufall oder diplomatisches Geschick, nicht der schicksalshafte Lauf der Weltgeschichte, sondern Gott wird diesen Davidssohn, und mit ihm den Frieden, schenken.

Und noch ein drittes Mal spricht Jesaja von einem König aus dem Geschlecht Davids, wobei man sich in Erinnerung rufen sollte, daß Ísai, lateinisch auch Jesse genannt, der Vater Davids war:

„Doch aus dem Baumstumpf Isai's wächst ein Zweig hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Und der Geist des Herrn läßt sich nieder auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht...".

Für uns Christen entsteht sofort eine Assoziation: damit muß Jesus von Nazaret gemeint sein! Nur von ihm läßt sich sagen, daß der Geist Gottes in seiner ganzen Fülle in ihm wirksam war.

Und trotzdem wäre es falsch anzunehmen, Jesaja hätte - womöglich in allen Details - von Jesus vorausgewußt. Genau umgekehrt ist es: Menschen wie Mattäus und andere, die den Propheten Jesaja fast auswendig kannten, sahen im Nachhinein in Jesus die genannten Weissagungen erfüllt! Erst nach dem Tod und der Auferstehung Jesu ist ihnen bewußt geworden, wie Gott bereits in frühester Zeit seine „Fäden gewoben" hat, wie er durch Anspielungen und Andeutungen Zeichen gesetzt hat, die erst viel, viel später verstanden werden konnten.

Genau diese Erfahrung mache ich in meinem persönlichen Leben. Immer nur im Nachhinein ist mir klar geworden, daß es kein unpersönliches Schicksal oder blinden Zufall gibt: denn scheinbare Sackgassen, in die ich mich aus Schuld oder Dummheit hineinmanövriert hatte, hat Gott immer wieder zum Guten geführt, und das gibt mir das Vertrauen, daß er es auch künftig tun wird.

AMEN

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